Zeitgleich mit dem Erscheinen der 1. Auflage des vorliegenden Bandes "Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland" im Januar 2005 traten die Hartz IV-Gesetze in Kraft. Diese sollten, so Christoph Butterwegge im Vorwort zur unlängst herausgegebenen 2. erweiterten und aktualisierten Ausgabe, " nicht nur die materielle Lage von Millionen Menschen in Ost- und Westdeutschland entscheidend verändern, sondern auch das soziale Klima verschlechtern und die politische Kultur der Bundesrepublik schwer beschädigen." Damals sei das Problem einer "quantitativ zunehmenden und sich überdies qualitativ zuspitzenden Kinderarmut noch weitgehend ein Tabuthema" gewesen.
Zu wenig für zu viele
Am 25. August 2005 stellte der Paritätische Wohlfahrtsverband seine Studie zu den Auswirkungen von Hartz IV auf die Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland vor. "Hartz IV heißt zu wenig für zu viele", lauteten Titel und Fazit. Den Berechnungen zufolge hatte die Einführung des Arbeitslosengelds II, das den Kernpunkt von Hartz IV bildet, die Zahl der von Armut betroffenen Kinder unter 15 Jahren auf 1,7 Millionen steigen lassen. Über 1,5 Millionen Kinder lebten auf Sozialhilfeniveau. Weitere 200.000 betrage die Dunkelziffer der Kinder, die zwar ein Anrecht auf Sozialleistungen hätten, diese jedoch nicht in Anspruch nehmen würden. Ende 2004 lag die Zahl der Kinder in der Sozialhilfe laut offizieller Statistik noch bei 965.000.
Insgesamt, so der Verband lebten bundesweit 14,2 Prozent und damit jedes siebte Kind in Armut. In Westdeutschland betrage die Kinderarmutsquote 12,4 Prozent, in Ostdeutschland 23,7 Prozent. In vielen Städten Ostdeutschlands werde die 30-Prozent-Marke deutlich überschritten.
In einem Entwurf für den 3. Armuts- und Reichtumsbericht beziffert das DIW die Armutsquote für Kinder unter 15 Jahren sogar auf 26 Prozent. Auch der Armuts- und Reichtumsbericht von Nordrhein-Westfalen weist eine Kinderarmutsquote von 24,7 Prozen t für 2005 in NRW aus. Egal, was auf welcher Grundlage berechnet wurde, zu hoch ist die Zahl der Betroffenen allemal.
Politiker-Handeln gefordert
Inzwischen befasse sich die Öffentlichkeit, so Butterwegge, "nicht mehr nur routinemäßig" mit dem Thema. Im Zusammenhang mit sich scheinbar häufenden Fällen von Kinderverwahrlosung und -misshandlung sei es zum " Modethema geworden". Es käme allerdings zu geradezu hysterischen Reaktionen, ohne dass Politiker bislang die richtigen Konsequenzen gezogen hätten.
Was trotz der Fülle von Forschungsprojekten und Wissenschaftspublikationen oft zu kurz kam waren die spezifischen Bedingungen der vereinigten, vordem aus zwei Staaten mit unterschiedlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem sowie konträrer Sozialpolitik bestehenden Deutschland. Diese Lücke schließt der vorliegende Band. Ursachen und psychosoziale Folgen der Armut von Kindern werden benannt. Ein empirischer Vergleich der sozialen Situation von Kölner und Erfurter Schulkindern stellt Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Lebenslagen in West und Ost klar. Es gibt jede Menge Vorschläge für verschiedenste Politikfelder, um Kinderarmut zu verringern und zu verhindern.
Ende Mai 2008 verlangte der DGB ein Gesamtpaket gegen Kinderarmut. "Kinderarmut ist Familienarmut und hängt untrennbar mit Arbeitslosigkeit, nicht Existenz sichernden Löhnen und nicht armutsfesten Sozial- und Familienleistungen zusammen. Wir brauchen deshalb ein Gesamtkonzept, um Kinderarmut zu überwinden", betonte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der DGB forderte die Bundesregierung auf, noch vor der Bundestagswahl 2009 Maßnahmen gegen Kinderarmut auf den Weg zu bringen. Die Politik solle sich mit Lösungsansätzen zur Kinderarmut befassen, statt über Statistiken zu streiten.
Das Buch von Christoph Butterwegge, Michael Klundt und Matthias Belke-Zeng kann dafür ein wichtiger Ratgeber sein.
Christoph Butterwegge, Michael Klundt, Matthias Belke-Zen: Kinderarmut in Ost- und Westdeutschland, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, 2. erweiterte und aktualisierte Auflage, 378 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-531-15915-7