vorwärts.de: Frau Meyer-Timpe, was sind die Ursachen für die Kinderarmut in Deutschland?
Meyer-Timpe: Hauptgrund ist sicherlich die Arbeitslosigkeit. Die trifft vor allem Menschen mit wenig Bildung. Insofern droht Kinderarmut vor allem in Familien mit schlechter Bildung.
Gibt es heute in Deutschland mehr arme Kinder als früher?
Ja, die Situation hat sich verschlechtert. Dazu beigetragen hat die Hartz-IV-Gesetzgebung, durch sie ist die Zahl der armen Kinder noch gestiegen.
Wie zeigt sich die Armut im Alltag der betroffenen Kinder?
Sie zeigt sich in verschiedenen Bereichen. Beispielsweise wenn zuhause wenig Platz ist und das Kind kein eigenes Zimmer hat. Dann kann es keine Freunde einladen oder Geburtstag feiern. Es besteht die Gefahr, dass es zum Außenseiter wird.
Es gibt außerdem Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder aus armen Familien bei gleichen Leistungen in der Grundschule weniger häufig Empfehlungen fürs Gymnasium bekommen als Kinder aus finanziell bessergestellten Familien. Das hat natürlich Folgen für ihre Zukunft.
Was kann gegen die Kinderarmut getan werden?
Es benötigt ein Zusammenspiel von vielen Maßnahmen. Die Hartz-IV-Sätze für Kinder müssen steigen. Wir brauchen auch mehr kostenlose Kitaplätze. Wir müssen unser Schulystem reformieren, damit es armen Kindern wieder eine Chance gibt. Die Wirtschaft muß sich auch engagieren und beispielsweise Kinder aus armen Familien ausbilden. Auch jeder Einzelne kann etwas tun, sei es durch Geld oder durch freiwilliges Engagement.
Wird das Thema Kinderarmut in der Öffentlichkeit ausreichend wahrgenommen?
Ja, ich glaube, dass die Aufmerksamkeit in den letzten Jahren gestiegen ist, auch wenn vielleicht im Moment die Finanzkrise eine größere Rolle spielt. Es wird gesehen, dass gewaltige Probleme auf unsere Gesellschaft zukommen, wenn wir jetzt nichts gegen Kinderarmut tun.
Interview: Karsten Wiedemann
Ulrike Meyer-Timpe, Unsere armen Kinder. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt, Pantheon-Verlag, 12,95 Euro
Redakteur bei vorwaerts.de bis September 2009, jetzt Redakteur bei Neue Energie, dem Magazin des Bundesverbands für Windenergie