Kultur

Arm, also wertlos

von Vera Rosigkeit · 3. September 2012

Während der Boom für Spitzenverdiener ungebrochen anhält, leiden überall Menschen unter Spardiktaten. Um die Umverteilung nach oben und die Verteufelung der Arbeiter zu beenden, bedarf es einer neuen Klassenpolitik. So das Plädoyer von Owen Jones in seinem ersten Buch.

Es gibt sie noch: Klassenpolitik. Doch die Anführer dieser Politik, die Klassenkämpfer, sind keine zornigen Gewerkschafter oder Linke, sondern Konservative, „distinguierte Herren in Maßanzügen“, erklärt Owen Jones in seinem Buch „Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse“. Für den jungen Historiker und Journalisten aus der Nähe von Manchester sind diese Konservativen die wahren Klassenkämpfer der britischen Politik. Sie sind der politische Arm der Reichen und Mächtigen und vertreten die Interessen der oberen Zehntausend.

Zerschlagung der Arbeiterbewegung
Als Ursprung dieser Politik identifiziert Jones die Regierung Thatchers. Mit ihrem Amtsantritt wuchs die ökonomische Ungleichheit rapide an, wie Jones anhand von Regierungsbeschlüssen und Zahlen belegt, „Werte, Institutionen und Traditionsbetriebe“ der Arbeiterklasse wurden zerschlagen, die Solidarität der britischen Gesellschaft nahm schweren Schaden.

Gerechtfertigt wurde diese Entwicklung durch den Glaubenssatz „Es gibt keine Klassen, wir sind jetzt alle Mitte.“ Diese Botschaft, die seit den 80er Jahren im Zentrum neoliberaler Politik in ganz Europa steht, entlarvt Jones als Ideologie. Sie rechtfertigte, dass gigantische Summen auf die Konten der Reichen flossen, während Durchschnittslöhne stagnierten.

New Labours schwammige Mitte
Auch die Politik von New Labour wird von Jones scharf kritisiert. Er, der als parlamentarischer Assistent für Abgeordnete der Labour Party tätig war, ist überzeugt, dass New Labours Politik der schwammigen Mitte an der Arbeiterschaft vorbei ging und zur Aufteilung zwischen einer „aufstrebenden Arbeiterklasse und einem nutzlosen Überbleibsel „nicht-aufstrebender“ Wegelagerer, Faulenzer, Alkoholiker und Randalierer führte.

Wie sehr die Spaltung in "Mittelschicht" und "Chavs" (Prolls) und damit die Dämonisierung der Arbeiterklasse im gesellschaftlichen Bewusstsein fortgeschritten ist, zeigt Jones anhand von Gesprächen mit Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten. Erschreckende Beispiele, die deutlich machen, wie stark die Verachtung der Oberschicht für die Arbeiter ist. Ihr Tenor ist „arm, also wertlos“, das Ziel einzig die persönliche Bereicherung, analysiert Jones: „Die Dämonisierung der Arbeiterklasse ist das Triumphgeheul der Reichen, die von unten nicht mehr bedroht sind und sich nun über die Arbeiter lustig machen.“

Groteske Umverteilung nach oben stoppen
Selbst überrascht vom Aufsehen, das sein erstes Buch erregt hat, ist Jones überzeugt, dass die Klassenfrage wieder ganz oben auf der Tagesordnung steht. Die Unzufriedenheit mit der Marktwirtschaft sei groß, stellt er fest. Um die „groteske Umverteilung nach oben“ zu korrigieren, bedarf es seiner Meinung nach einer starken Gewerkschaftsbewegung, um Arbeitern eine Stimme am Arbeitsplatz zu geben und um für eine angemessene politische Vertretung zu kämpfen. 

Von einer verklärten Sichtweise oder Glorifizierung der Arbeiterklasse ist Jones dabei weit entfernt. Er weiß, dass die Menschen heute nicht mehr in Minen, Werften und Fabriken arbeiten, sondern in Callcentern, Supermärkten und Büros. Diese Veränderung spiegelt sich in seiner Forderung nach anständigen, qualifizierten, sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen wider. Zu schaffen in Beschäftigungsprogrammen zum Bau von Sozialwohnungen oder einem „Grünen New Deal“.

So ist Jones Buch eine kritische Abrechnung mit der Politik der schwammigen Mitte, gleichzeitig aber auch ein leidenschaftliches Plädoyer für dringend notwendige Veränderungen. Hin zu einer Politik, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an privatem Gewinn orientiert.

Owen Jones: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse. Verlag Andre Thiele, Essay, Mainz 2012, 320 S., gebunden, 18.90 EUR
ISBN 978-3-940884-79-4

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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