Kultur

Annäherung an Willy Brandt

von Marcus Ullrich · 6. August 2012

Die Biographie „Willy Brandt, Deutscher – Europäer – Weltbürger“ von Einhart Lorenz ist nicht die erste und sicher auch nicht die letzte Biographie über einen der bedeutendsten Sozialdemokraten des letzten Jahrhunderts. Doch ist sie anders und besonders.

Einhart Lorenz, wie er im Vorwort berichtet, will kein umfassendes Werk schreiben, sondern eine kleine Einführung  in das Leben und Wirken Willy Brandts liefern. Eine Annäherung an den Friedensnobelpreisträger. Das gelingt. Weil Einhart Lorenz ohne viel Pathos den Weg Brandts vom jungen Sozialisten zum Sozialdemokraten und seine Situation im Widerstand bis hin zum gefeierten Staatsmann sorgfältig und wissenschaftlich beschreibt.

Im Gegensatz zu anderen Biographien ist dieses Buch nicht geschwätzig und laut. Kein Wettlauf um Anekdoten. Es ist würdig und zurückhaltend. Wie die Person selbst, die es beschreibt. Distanz wahrt Einhart Lorenz durch seine saubere, kompakte und wissenschaftliche Herangehensweise in „Willy Brandt. Deutscher – Europäer ­– Weltbürger“ trotzdem.

Wandel zum Sozialdemokraten

Nach einem Kapitel über Jugend und Kindheit beschreibt Lorenz über mehrere Kapitel den Weg Willy Brandts vom überzeugten Links-Sozialisten in der Sozialistischen Arbeiterpartei zum bekennenden Sozialdemokraten am Ende des zweiten Weltkriegs.

Einhart Lorenz schildert diesen Werdegang genau und anschaulich. Er bietet nicht nur Motive für Willy Brandts Handeln. Lorenz präsentiert dem Leser  vielmehr einen Einblick in die Strukturen der Arbeiterparteien während der beiden Weltkriege. Diese Biographie ist an vielen Stellen ein Geschichtsbuch. Kein langweiliges. Im Gegenteil. Es regt zum Nachdenken über die Zeit und Personen an

Exil und Widerstand

Kurz nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ begab sich Willy Brandt, sein bürgerlicher Name war Herbert Frahm, ins Exil nach Schweden und Norwegen. Später wurde er norwegischer Staatsbürger. Das Buch zeigt diese aufregende und  gleichzeitig hochgefährliche Zeit für Brandt auf mehreren Ebenen.

Neben privaten und politischen Bereichen untersucht Lorenz auch die publizistische Arbeit Willy Brandts. Als erster deutscher Brandt-Biograph greift der Historiker die auf Norwegisch und Schwedisch entstandene Texte Brandts intensiv auf. Brandt blieb seiner Darstellung nach immer Deutscher, ein „anderer Deutscher“, zudem entwickelte er sich auch zum überzeugten Europäer. Lebenslange Freundschaft zu Politgrößen wie Walter Kreisky entstanden. Die ersten beiden Teile des Buches  bestätigen inhaltlich, wie richtig und sorgfältig der Buchtitel, „Deutscher und Weltbürger“, gewählt ist.

Brandt, der deutsche Immigrant, blieb Deutscher und wurde Europäer. Vom Links-Sozialisten wandelte er sich zum Sozialdemokraten.

Das alles geschah in einem Rahmen. Dem Rahmen des Widerstands und Exils. Dessen Beschreibung ist der stärkste Teil des Buches. Nüchtern, sachlich und doch mit einer geschichtlichen Einordnung beschreibt Lorenz Bedingungen und Umstände des Widerstands. Willy Brandt ist hier nicht einfach ein Held, sondern ein Suchender, der sich aus den Ideologien der Zeit befreien will.

Man erfährt im Buch, wie anstrengend und voll von Furcht diese Zeit für Brandt und seine Mitstreiter gewesen sein muss. Verhaftungen, Verdächtigungen, Auslieferungsandrohungen und vieles mehr hatte er zu ertragen. Nur mit Hilfe von Freunden war das zu überstehen.

Bundeskanzler und Weltbürger

Der dritte Teil des Buchs widmet sich dem politischen Aufstieg Willy Brandts nach dem Krieg.

Lorenz  behält auch hier seinen einfachen und  deshalb umso eindrucksvolleren Stil bei. Deutsche Nachkriegsgeschichte wird mit der Person Willy Brandt verwoben. Seine Höhen(Kanzlerschaft, Friedensnobelpreis) und auch seine Tiefen(Wahlniederlagen, Rücktritt), werden genau und wissenschaftlich präsentiert, ohne den Leser im Entferntesten zu langweilen. Lorenz nimmt den Leser auf den Weg Brandts zum Weltbürger mit, der 1980 den Nord-Süd-Bericht vorlegte und die Deutsche Einheit noch begleiten durfte. So unterstreicht der letzte Teil des Buches die dritte Zuschreibung des Buchtitels „Weltbürger“ eindrucksvoll.

Die Biographie „Willy Brandt. Deutscher – Europäer – Weltbürger“ von Einhart Lorenz ist ein gelungenes Herantasten an Willy Brandt. Sie klärt über Person, Zeit und politische Verhältnisse auf. Vor allem regt sie zur Reflexion an. Und sie macht ein wenig wehmütig, wann wohl der nächste „Willy Brandt“ kommen möge.

Einhart Lorenz, Willy Brandt. Deutscher – Europäer – Weltbürger; Kohlhammer Urban Taschebücher 2012 24,90 Euro 2012

 

 

Autor*in
Marcus Ullrich

Student der Politikwissenschaft an der LMU München.Praktikant beim vorwärts

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