Kultur

Änderung von Damen

von Birgit Güll · 12. Oktober 2008
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Eine kleine grammatikalische Inkorrektheit eröffnet ein Universum von Möglichkeiten. Sie erschafft einen Ort, "der zwischen dem Phantastischem und dem Realem oszilliert", wie die Autorin bei einer ihrer Lesungen in Berlin formulierte. Diese Änderungsschneiderei Los Milagros ist in jeder Hinsicht Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt des Buches. Wie es weitergeht, "hängt zum großen Teil davon ab, wohin du möchtest", schickt Barbetta ein Zitat aus Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" einem der Romankapitel voraus.

Ein kostbares Kleid
Die Schneiderwerkstatt befindet sich in Buenos Aires, der Geburtsstadt der Autorin. Das als Initialzündung für den Roman fungierende Schild hat die Schriftstellerin in ihrer Wahlheimat Berlin entdeckt, die Handlung aber nach Argentinien verlegt. Dort trifft der Leser die junge Schneiderin Mariana Nalo, besessen von den Farben der Stoffe und Garne in der Schneiderei, verzückt von ihrer Schmetterlingssammlung und verliebt in Gerardo.

Ihr Leben ändert sich, als Analia Moran die Änderungsschneiderei betritt. Diese Kundin, ihr Spiegel, ihre Doppelung - der Name ein Anagramm des ihren - gibt ein Hochzeitskleid in Auftrag. Geändert werden soll das kostbare Kleid der Mutter von Analia, denn die Heirat der jungen Lehrerin mit Roberto steht bevor. Marianas geliebter Gerardo ist zu dieser Zeit in den USA - und scheint abgesehen von drei Postkarten verschwunden.

Ein atemberaubender Schleier
Maria Cecilia Barbetta hat ihren Romanerstling auf Deutsch geschrieben. Dabei ist das für die gebürtige Argentinierin eine Fremdsprache, welche sie allerdings intensiv studierte. Diese Sprache habe eine spielerische Komponente. Sie erlaube ihr gleichsam Nähe und Distanz zu Buenos Aires . Und sie mache es nicht zuletzt einfacher, über Gefühle zu schreiben, erläutert Maria Cecilia Barbetta.

Die Romanfigur Mariana Nalo beginnt am Hochzeitskleid zu arbeiten - und nichts bleibt, wie es war. Vordergründig passt sie es den Maßen der Kundin an, fügt einen "atemberaubenden Schleier, und eine fesselnde Schleppe" hinzu. Doch diese Änderungen bedeuten mehr: Der Schleier könnte den Atem rauben, die Schleppe als Fessel fungieren. All das ermögliche "die Kraft der Fremdsprache", sagt die Autorin. Und so arbeitet sich die Schneiderin mit Analias Kleid zugleich in deren Leben vor.

Ein Schnittmuster
Worte werden in "Änderungsschneiderei Los Milgaros" zu Bildern - im übertragenen und im wörtlichen Sinn. Es gibt Sprachbilder, Bilder, die die Schrift formt, und Abbildungen. Immer wieder wird der Text aufgebrochen: Illustrationen genau wie Änderungen in Satz und Schriftgröße oder -type unterbrechen den Lesefluss, verdeutlichen Beschriebenes oder signalisieren Änderungen in Tempo oder Lautstärke.

Die Romanausgabe ist reich bebildert. Jedem Kapitel ist ein "Schnittmuster" zugeordnet. Vielfach kommentiert es das Geschriebene. Dann wieder schafft es Klarheit. Manchmal gewichtet es. Bisweilen eröffnet es eine neue Perspektive.

Das Buch ist ein gelungenes Experiment, ein Aufbruch, ein Rausch. Der Leser kann sich darin verlieren - er liest, hört und betrachtet gleichzeitig. Spielerisch geht die Autorin mit Sprache um, eröffnet immer neue Blickwinkel. Jedes Wort scheint einen doppelten Boden zu haben - oder sollte zumindest dahingehend überprüft werden. Eine letztgültige Deutung ist so wenig wichtig wie möglich. Das Romandebüt der sprachgewaltigen Autorin ist wahrlich ein Vergnügen.

Maria Cecilia Barbetta: "Änderungsschneiderei Los Milagros", S. Fischer Verlag, 2008, 328 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-596-18285-5

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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