Ob es viele wahrhaben wollen oder nicht. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dennoch fühlen sich Deutsche mit Migrationshintergrund auch in der zweiten Generation oft nicht zugehörig. Der Themenabend „Migration und Medien“ der Bundeszentrale für politisch Bildung befasste sich mit dieser Problematik.
„Ein ominöses Heimatland haben wir nicht.“ Mit diesen Satz beschreibt die Journalistin Özlem Topçu in ihrem Buch „Wir neuen Deutschen“ das Problem junger Menschen mit Migrationshintergrund, ihre Identität zu finden. Dabei sei schon der Begriff „Migrationshintergrund“ problematisch, da er deutlich mache, dass eine Person anders sei, wodurch schon von Anfang an Distanz geschaffen werde. Topçu bezeichnet sich selbst als Deutsch-Türkin. In ihrem Buch erfindet sie mit ihren Mitautorinnen die Bezeichnung „neue Deutsche“. Anders als andere „neue Deutsche“, habe sie kein Problem mit der Frage, wo sie herkäme. Sie fange dann immer bei den Osmanen an. Oft bereue es der Fragensteller dann, die Frage gestellt zu haben.
Immer wieder musste Topçu feststellen, dass die Identitätssuche nicht nur ein Problem von Migranten ist, sondern auch von einzelnen Deutschen, die mit dem Begriff „deutsch-sein“ wenig anfangen können. Dies kann historisch begründet sein. Eine explizite Antwort darauf kann Topçu nicht liefern.
Eine wichtige Rolle kommt sicher den Medien zu. Es gebe nur wenige Journalisten ohne Migrationshintergrund, welche sich dem Thema Integration zuwenden. Dies kritisiert Margreth Lünenborg, Professorin für Journalistik am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin in ihrer Studie „Migrantinnen und Medien“. Sie wünsche sich mehr Fachwissen von Seiten der Autoren anstelle eines Migrationshintergrundes als scheinbare Qualifikation. Allerdings steigt die Wirkung eines Artikels, sobald der Name des Autors auf einen Migrationshintergrund schließen lässt. Diese Erfahrung zumindest hat Zeit-Redakteurin Topçu gemacht. Auch sei es eine zu begrüßende Entwicklung, dass anstatt „alter weißer Männer“ nun selbst Betroffene schreiben. Oft müsse sie sich die Frage anhören, wieso sie über Integration schreibe und täte manchen Bekannten deshalb sogar leid, erzählt Topçu. Umso unverständlicher sei es in ihren Augen, dass sich deutsche Journalisten nicht anhören müssten, wieso sie etwas über Finanzpolitik schreiben.
Marktfaktor: Heterogenität
Kulturelle Vielfalt kann auch ein Marktfaktor sein. Sowohl Lünenborg als auch Topçu äußerten deshalb Unverständnis darüber, dass es kaum Fernsehangebote für Migranten gebe. Es sei bedenklich, dass die letzte öffentlich-rechtliche Sendung in dieser Richtung „Türkisch für Anfänger“ gewesen sei, welche seit 2008 nicht mehr produziert wird, während im Privatfernsehen türkisch-stämmige Komiker auftreten. Nur durch kulturelle Vielfalt und eine mediale Durchmischung von Personen mit verschiede Hintergründen könnten neue Denkimpulse entstehen und die Gesellschaft bereichert werden. So einig sich die beiden Frauen in ihrer Bestandsaufnahme der Gegenwart sind, so unterschiedlich blicken sie in die Zukunft. Lünenborgs Studie zeichnet ein eher düsteres Bild, da sie einen aktiven Diskurs in der Gesellschaft vermisst. Hingegen ist Topçu der festen Meinung, dass in 10-20 Jahren die Integration weiter vorangetrieben sein werde und die Identitätsfindung vielleicht sogar beendet sein werde.
Wunsch nach Teilhaben
Im letzten Buchkapitel von „Wir neuen Deutschen“ wünschen sich die Autorinnen als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Wenn die Bundesregierung von einer Ostdeutsche geführt wird, der Innenminister körperlich behindert, der Wirtschaftsminister ein vietnamesisches Waisenkind und der Außenminister offen schwul ist, stellt Topçu zu Recht die Frage, wieso gerade die Minderheit der „neuen Deutschen“ sich noch ausgegrenzt fühlt. Ihre Grundwerte seien schließlich „ziemlich deutsch“. Topçu kommt zum Schluss, dass sie anders sei, aber dennoch ein Teil der Gesellschaft. Das Anders sein müsse demnach ebenso ein Teil der Gesellschaft sein.
Alice Bota, Khuê Pham, Özlem Topçu:“Wir neuen Deutschen“, Rowohlt. Reinbek, 2012, 174 Seiten, 14,95 Euro, ISBN:978-3-498-00673-0