Kultur

Alternativen zum Sparkurs

Manche sehen im Rettungsschirm den letzten Ausweg, um marode Banken und Staaten vor der Pleite zu bewahren. Für andere klingt es nach einer tödlichen Umarmung. Die Filmemacher Leslie Franke und Herdolor Lorenz haben sich für Letzteres entschieden.
von ohne Autor · 13. Februar 2015
Retten heißt auch sparen: Dass bekommen die Massen von Arbeitslosen in Spanien zu spüren.
Retten heißt auch sparen: Dass bekommen die Massen von Arbeitslosen in Spanien zu spüren.

In ihrem Dokumentarfilm „Wer rettet wen?“ erzählen sie, wie seit 2008 sogenannte systemrelevante Banken in Europa gerettet wurden und ganze Staaten unter das Joch eines Spardiktat fielen, das aus ihrer Sicht weniger einen soliden Haushalt, sondern die neoliberale Agenda einer Privatisierung von staatlicher Daseinsvorsorge verfolgt. Droht uns allen tatsächlich eine „Kreditokratie“, wie ein US-Soziologe vor der Kamera ausführt? Will heißen: Können die Bürger künftig nur noch in den Genuss von Bildung und Medizin kommen, wenn sie sich verschulden? Dient ein Rettungsschirm nur jenen, die die Krise zu verantworten haben, um sich am Ende zu bereichern, neu bei heiklen Spekulationen durchzustarten oder gar über den wachsenden Einfluss von Lobbyisten ganze Regierungen zu übernehmen?

Mario Draghi, der Direktor der Europäischen Zentralbank und vormalig Vizepräsident der US-Bank Goldmann Sachs, formuliert es vor dem Hintergrund der Euro-Krise so: „Das europäische Sozialmodell ist Vergangenheit.“ Die Rettung des Euro und damit der Eurozone werde viel Geld kosten. Das bedeute auch, vom europäischen Sozialmodell Abschied zu nehmen.

Vom Leben in der Warteschleife

Beispiele für Schritte, die einer solchen Entwicklung Vorschub leisten, liefert der Film reichlich. Zum Beispiel, dass in den westlichen Ländern seit Ende der 1970er-Jahre die Vorschriften zur Vergabe von Krediten so weit gelockert wurden, dass fast jedermann ein Darlehen, etwa für ein Haus, aufnehmen kann, ohne Sicherheiten zu bieten. Ohne diese Entgrenzung wäre die Immobilienblase in Spanien und den USA undenkbar gewesen. Allerdings auch nicht ohne die vielen Kleinanleger, die sich bereitwillig verschuldeten, ohne sich über die Risiken klar zu werden. Das allerdings bleibt unerwähnt.

Schuldenhaushalte, Krisenbanken und neoliberale Langzeitstrategien: Für die beiden Regisseure hängt alles zusammen: sowohl inhaltlich als auch über die Akteure, die, ähnlich wie Draghi, in wechselnden Funktionen mitmischen. In ihrem Film zeigen sie, welche Folgen Rettungsschirme oder geplatzte Banken-und Immobilienblasen im Alltag jener Menschen zeitigen, die in deren Folge unter gestrichenen Stellen im öffentlichen Dienst und eingedampften Staatshaushalten leiden.

Zum Beispiel in Griechenland: Junge Erwachsene, die verzweifelt nach Arbeit suchen, berichten von ihrem Leben in der Warteschleife. Ärzte, die ehrenamtlich Mini-Kliniken aufbauen, stopfen jene Löcher, die – gemäß den Abmachungen zwischen Griechenland und der sogenannten Troika – geschröpfte Sozialkassen und ein kollabierendes Gesundheitssystem hinterlassen. Forscher erklären, warum es durchaus im Sinne der EU war, dass das wahre Ausmaß der griechischen Staatsschulden über Jahre verschleiert wurde. Diese Szenen machen wütend, betroffen und ratlos zugleich.
Ergänzt werden diese Mikro-Episoden, wie an vielen anderen Stellen, durch eine kurze erklärende Sequenz, die so anschaulich wie fundiert den Bogen vom Einzelschicksal zum großen Ganzen schlägt. Plötzlich erscheint die eine oder andere Verschwörungstheorie gar nicht mehr so abwegig.

Umverteilung von oben nach unten

Nicht weniger aufwühlend ist der Abschnitt in Spanien. Wir erleben, was es heißt, wenn Menschen, die den Kredit nicht abbezahlen können, aus ihrer Wohnung fliegen. Längst hat sich dort ein breites Bündnis gegen Zwangsräumungen gebildet. Die Formen kreativen Protests stiften dann auch wieder Hoffnung. Als wäre es eine Art ausgleichende Gerechtigkeit, sorgen die langen Einstellungen mit kolossalen Immobilien-Investmentruinen irgendwo im Nichts für wohligen Grusel.

Die Passage über Island gerät erst recht optimistisch. Nach der dortigen Banken-Krise setzte die Regierung im Zuge der Rettung nicht etwa auf einen Sparkurs auf Kosten kleinerer und mittlerer Einkommen, sondern mittels einer Vermögenssteuer auf eine Umverteilung von oben nach unten – wenn auch auf Druck der Straße.

Dass Franke und Lorenz gegen Ende Alternativen zu einer oft als alternativlos dargestellten Politik zeigen, hebt gegenüber dem längsten Teil des Films, der ob all der Zahlen mitunter schwindelig macht, angenehm die Stimmung, wenngleich es zu jeder Zeit gelingt, Strukturen sichtbar und verständlich zu machen. Um dem Film etwas mehr Reibung zu verleihen, wären allerdings mehr Stimmen von der „Schurkenseite“ wünschenswert gewesen.

Andererseits bietet die breite Front der Banken- und Rettungsschirm-Kritiker manche Überraschung: Zum Beispiel eine seltene Einigkeit zwischen dem Linken-Politiker Oskar Lafontaine und dem Top-Ökonom Hans-Werner Sinn.

Dass sich dieser so zurückhaltend inszenierte und als Crowdfunding-Projekt auf den Weg gebrachte Film als politisches Pamphlet versteht, ist ein Grund mehr, ihn gegen den Strich zu sichten. Dennoch: So viel Durchblick in so kurzer Zeit war bei diesem globalen Thema selten. Dem tut die klare Haltung kein Abbruch.


Info: Wer rettet wen? (Deutschland 2015), ein Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz, deutsch-englisch-spanisch-griechisch-isländische Originalfassung
mit deutschem Voice-Over, 104 Minuten. Ab sofort im Kino

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