Unübersehbar hat der demografische Wandel in Europa die Filmindustrie erreicht. Mit „Late Bloomers“ entdeckt eine weitere Produktion das Unausweichliche im Leben: das Altern. Gerade das unverbrauchte Zusammenspiel von William Hurt und Isabella Rossellini sorgt dabei für unterhaltsame und tiefgründige Momente.
Nie zuvor dominierten Filme rund um die Untiefen des Älterwerdens die Spielpläne der Kinos so deutlich: Man nehme nur Bernd Böhlichs Komödie „Bis zum Horizont, dann links“ oder Michael Hanekes Drama „Liebe“. Die Lücke dazwischen füllt die Tragikomödie „Late Bloomers“. Mit subtilem Gespür für die Komik und die Tragik am Altern wird ein Ehepaar um die 60 in eine aufreibende Bewährungsprobe geschickt. Die Lektion lautet: Alt zu werden bedeutet gerade nicht, sich nicht mehr hinterfragen zu müssen. Im Gegenteil: Nur wer sich ehrlich dem neuen Lebensabschnitt stellt, bleibt sich treu. Gleichzeitig zeigt Regisseurin Julie Gavras, was es heißt, bei der Selbstanalyse über das Ziel hinauszuschießen, indem man sich mit einem Bein im Grab wähnt.
Das alles mag beschaulich klingen. Doch gerade die beiden Hauptdarsteller Isabella Rossellini und William Hurt – 60 und 62 Jahre alt – verleihen diesem Stoff eine Tiefe, wie sie allein vom Drehbuch wohl kaum zu erwarten gewesen wäre. Die von ihnen verkörperten Eheleute stehen für beide Extreme, mit dem Altern umzugehen: Von der Reibung zwischen beiden Charakteren lebt zudem die hintergründige Komik dieses Films.
Sind Ehrungen für das Lebenswerk eine ehrliche Würdigung oder ein freundlich verpackter Abgesang? Jahrzehntelang jettete Adam (William Hurt) um die Welt, um Bahnhöfe und Flughäfen zu entwerfen. Doch die Zeit der großen Verkehrsprojekte ist vorbei. Daran kann auch die Medaille an seinem Revers nichts ändern. Adam kriegt die Krise: Schließlich steht er noch voll im Saft und kommt mit seinen jüngeren Kollegen hervorragend klar. Nun soll er Baupläne für ein Londoner Seniorenheim entwerfen. Widerwillig macht sich der egozentrische Architekt ans Werk.
Der Verfall ist da
Auch Mary (Isabella Rossellini) steht plötzlich vor der schmerzlichen Gewissheit, sich bislang womöglich jünger gefühlt zu haben, als sie tatsächlich ist. Eines Morgens plagen sie Erinnerungslücken. Es kann nicht anders sein: Der Verfall hat begonnen. Anders als ihr Gatte, der sich in den Jugendwahn flüchtet, stellt sie sich dem Alter mit radikaler Konsequenz – bis hin zum Wahn. Plötzlich interessiert sie sich für Aquagymnastik und sucht sich ein Ehrenamt. Lieber heute als morgen wünscht sie sich eine seniorengerechte Wohnung: Also müssen Telefone mit großen Tasten und Stützen für Klo und Badewanne her. Vom Bett, das sie nach all den Jahren immer noch gerne mit Adam teilt, ganz zu schweigen.
Adam und Mary stehen vor ähnlichen Herausforderungen und leben doch in verschiedenen Welten. Der Konflikt ist vorprogrammiert: Angewidert von all dem Gerümpel für Demente zieht Adam aus. Sämtliche Vermittlunsgversuche der Kinder laufen ins Leere. Beide Elternteile stolpern in eine Affäre mit einem jüngeren Partner. Erst ein Trauerfall führt das Paar zu der Erkenntnis, dass es sich wieder zusammenraufen muss, damit nicht alles noch schlimmer wird – und um sich nicht völlig lächerlich zu machen.
Schatten über dem Witz
Wie gesagt: Die Geschichte mutet allzu glatt an. Auch das das Rollenbild kommt arg konventionell daher: Ignoranter Karriere-Vater versus aufopferungswillige Mutter.
Gerade das versöhnliche Ende beißt sich mit dem furiosen, wenn nicht gar tragischen Witz, den der Film in etlichen Szenen unter Beweis stellt. So legt sich ein klebriger Schatten über Momente, die jeweils für sich einen komödiantischen Hochgenuss bedeuten.
Etwa, wenn Mary unter all den jungen Frauen beim Wasser-Training an sich selbst verzweifelt. Oder wenn sich die frühere Lehrerin, eine unentgeltliche Nebentätigkeit im Blick, in einer karitativen Einrichtung vorstellt und wie eine senile Greisin behandelt wird. Nicht minder melancholisch-komisch ist Adam, wenn er sich einen Kapuzenpulli überstülpt und mit den jugendlichen Architekten-Kollegen feiern geht. Es nützt nichts: Bei Recherchen im Altenheim wird er für einen Bewohner gehalten.
Für Isabella Rossellini und William Hurt war es der erste gemeinsame Auftritt vor der Kamera. Von Anfang an hat man das Gefühl, dass bislang ein bedeutendes darstellerisches Potenzial verschenkt wurde. Wer hätte, bei allem Respekt, Isabella Rossellini dieses durchaus auch selbstironische und groteske Spiel zugetraut – selbst wenn man berücksichtigt, dass sie 2008 als Hauptdarstellerin und Regisseurin mit ihrem Insekten-Sex-Streifen „Green Porno“ auf sich aufmerksam gemacht hatte? Es scheint, als hätte die enge Zusammenarbeit mit William Hurt – als grüblerischer Künstler ohnehin ideal besetzt – sie ungemein beflügelt. Was wiederum zeigt: Es ist nie zu spät, an seine Grenzen zu gehen.
Info: Late Bloomers (Frankreich 2010), Regie: Julie Gavras, mit William Hurt, Isabella Rossellini, Doreen Mantle u.a., 90 Minuten. Ab sofort im Kino