Kultur

„Alles gut“: Flüchtlingskinder starten durch

Angekommen in Deutschland. Was nun? Aus der Perspektive zweier junger Geflüchteter erzählt der Dokumentarfilm „Alles gut“ von Rückschlägen und Hoffnungsschimmern auf dem Weg in ein neues Leben in der Bundesrepublik.
von ohne Autor · 24. März 2017
Plötzlich zuhause in Hamburg: die elfjährige Ghofra aus Syrien im Dokumentarfilm „Alles gut“
Plötzlich zuhause in Hamburg: die elfjährige Ghofra aus Syrien im Dokumentarfilm „Alles gut“

Am Ende steht das Mädchen mit dem weißen Kopftuch inmitten des Schulchors auf der Bühne und strahlt. Eigentlich ein alltägliches Bild, doch diese Filmszene ist das Ergebnis einer Entwicklung. Das Mädchen heißt Ghofran und stammt aus Syrien. Mit ihren Eltern und drei Geschwistern lebt sie in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft. Die Elfjährige ist eine der beiden Hauptfiguren in Pia Lenzs Dokumentarfilm „Alles gut“.

Neuer Dreh für das Flüchtlingsthema

Ein Jahr lang hat die Dokumentarfilmerin und Fernsehjournalistin zwei Flüchtlingsfamilien an der Elbe begleitet. Zahlreiche Produktionen haben sich in letzter Zeit mit dem Alltag von Zuwanderern befasst, die große Gefahren auf sich nehmen, um in Deutschland einen Neuanfang mit ungewissem Ausgang zu wagen. Lenz fand einen neuen Dreh für das Thema, indem sie sich dabei auf die Kinder konzentrierte.

Neue Sprache, neue Schule, neue Freunde: Kaum in der neuen Unterkunft angekommen, prasseln auf die jungen Geflüchteten eine Unzahl von Eindrücken ein. Während die Eltern oftmals zum Warten und zur Untätigkeit verdammt und mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt sind, müssen die sich Kleinen schnell in neuen Gruppen und Strukturen zurechtfinden. Was bei den Eltern oft Jahre braucht, bewältigen die Jüngsten im Nu.

Vieles ist erstmal nicht gut

Das bringt Konflikte mit sich. Auch davon erzählt „Alles gut“. Denn „gut“ ist in dem neuen Leben von Ghofran und Djaner, dem anderen Protagonisten, so einiges ganz und gar nicht. Der Achtjährige lebt mit Bruder und Mutter in einem jener umzäunten Fertigbauten für Flüchtlinge. Als Roma wurden sie in Mazedonien ausgegrenzt. Was das für sie bedeutet hat, lässt sich nur erahnen. Dennoch droht den dreien die Abschiebung in ihr sogenanntes sicheres Herkunftsland.

Wie auch in Ghofrans Fall erfahren wir wenig über die Vergangenheit der Familie, doch Djaners zappeliges und aggressives Verhalten und die Depression der Mutter lassen belastende Erfahrungen vermuten, die auch keine noch so gute Willkommenskultur kompensieren kann. Beispiele für jenes Engagement in Schulen und Initiativen gibt es in dem Film so einige. Djaner stellt den guten Willen auf eine harte Probe.

Nähe, ohne die Gezeigten bloßzustellen

Der Film ist dann am stärksten, wenn er den Fokus auf Ghofran und Djaner richtet. Wie bewältigen sie die Herausforderung, sich auf eine fremde Umgebung einzulassen? Was bedeutet ihnen das Leben, das sie vor der Flucht kannten? Durch eine Parallelmontage stellt Lenz immer wieder Bezüge zwischen den Kindern her, die sich im Alltag nie begegnet sind. Dabei kommt die Regisseurin den beiden, meist mit der Handkamera, so nah, dass man mitunter Scham empfindet. Es bleibt allerdings ein Rest von Distanz, die verhindert, die Gezeigten bloßzustellen.

Die parallele Erzählweise kehrt die Unterschiede zwischen den Hauptfiguren, wie auch zwischen den Familien, besonders deutlich hervor. Für Djaner wird es immer schwerer, in der Schule und mit anderen Menschen zurechtzukommen, was auch an der heiklen Gesamtsituation liegt. Ghofran wiederum öffnet sich immer mehr der neuen Umgebung. „Ich fühle mich wie eine Taubstumme auf einer Hochzeit“, sagt sie zu Beginn des Films über den Schulalltag in Hamburg. Doch fortan lösen sich in ihr viele Knoten und Reserven. Verflogen ist ihre Angst davor, das Kopftuch ablegen zu müssen oder aufs Fahrrad zu steigen. Mühsam bleibt es allerdings für die ehedem gut situierte Familie, in Deutschland auf eigenen Füßen zu stehen.

Ein Film als Statement

Und das hat meist mehr mit Behörden oder Vermietern als mit engagierten Bürgern zu tun. Lenz fängt einen grundlegenden Kontrast behutsam ein: Da ist auf der einen Seite die unmittelbare Umgebung der zwei Kinder, in der sich Menschen für Geflüchtete einsetzen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Und da ist die „Außenwelt“, in der Flüchtlinge allein als Teil der Statistik oder unliebsame Wohnungsbewerber gesehen werden.

Die 1986 geborene, mehrfach ausgezeichnete Filmemacherin, versteht ihre Erzählung durchaus als Statement: „Ja, wir schaffen das. Wir bekommen die Integration Hunderttausender Geflüchteter hin. Aber nur unter der Voraussetzung, dass wir einander zuhören und uns auch den schwierigen Fragen stellen.“

Lenz' ebenso unaufgeregter wie sensibler Film, der für einen differenzierten Blick auf die Lage Geflüchteter und deren Herkunftsländer wirbt, könnte dafür einige Türen öffnen.

„Alles gut“ (Deutschland 2016), ein Film von Pia Lenz, 95 Minuten. Jetzt im Kino

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