Kultur

Abkürzung zur Geborgenheit

von Birgit Güll · 16. März 2012

Seit Benjamin Lebert als 17-Jähriger sein Debüt „Crazy“ veröffentlichte gilt er als literarisches Wunderkind. In seinem neuen Roman schickt er drei Menschen durch ein kaltes, einsames Land. „Im Winter dein Herz“ ist der poetische Titel einer Suche nach Liebe und Geborgenheit, die letztlich oberflächlich bleibt.

Sprachgewaltig beginnt der neue Roman von Benjamin Lebert. Das erste Kapitel ist so reich an unverbrauchten Bildern, dass der Inhalt fast in den Hintergrund tritt. Weil es so schön ist, von dem Haus zu lesen, das aussah, „als wäre es betrunken oder sehr erschöpft und müsse von den beiden anliegenden, größeren Häusern gnädig in die Mitte genommen werden“. Es macht Spaß, sich die Frau vorzustellen, die aussieht „wie eine treuherzige Großmutter, die ein paar verschrobene Ansichten vertritt, aber einen ausgezeichneten Apfelkuchen backt“.

Die Möglichkeit der Liebe

Lebert hat seinem Buch ein Zitat von Alfred de Musset vorangestellt: „Das Leben ist Schlaf, dessen Traum die Liebe ist. Du wirst gelebt haben, wenn Du geliebt haben wirst.“ Die Liebe, beziehungsweise die Suche nach ihr ist die treibende Kraft dieses Romans. Jeder Ort „selbst wenn er einem vielleicht Angst macht, hat, so schien mir, eine kleine Öffnung, einen Riss, durch den jederzeit Liebe hineinsickern kann“, heißt es im Buch.

Diese Risse zu finden, schickt Lebert drei Romanfiguren in einem schwarzen Suzuki namens Ritchie Blackmore – benannt nach dem Gitarristen von Deep Purple – durch Deutschland. Das Land durch das sie fahren ist nicht nur tief verschneit, es ist auch die Zeit des verordneten Winterschlafs. Seit Jahren schon versinkt ein Großteil der überbevölkerten Welt mit Hilfe von drei Tabletten in einen mehrwöchigen Winterschlaf. Der soll nicht nur gesund sein, sondern auch den Energie- und Rohstoffverbrauch senken.

Momente der Geborgenheit

Lebert drosselt seine Sprachkraft, fährt den überbordenden Bildreichtum zurück und gibt seinen Figuren Raum. Drei Menschen, die in diesem Jahr wach bleiben wollen: Robert, der junge Mann mit der Essstörung, Kudowski, der Ex-Häftling der seine Knast-Vergangenheit geheim hält, und Annina, die Tochter gläubiger Muslime, die eine ständige Unruhe plagt. Kennengelernt hat sich das ungleiche Trio an einer Autobahnraststätte nahe einer psychiatrischen Klinik. In der waren Robert und Kudowski Patienten, Annina arbeitete im Tankstellenshop. Der Roadtrip der drei geht Richtung Süden. Robert möchte seinen todkranken Vater in einer Münchner Klinik besuchen.

Lebert wechselt die Perspektiven. In mit „Momente der Geborgenheit“ überschriebenen Kapiteln gibt jeder der Protagonisten in der ersten Person etwas von sich preis. Robert erinnert sich an die Vorlesestunden seiner Mutter, die der sanfte Junge – sonst ein Fremdkörper in der Sportlerfamilie – so genoss. Annina erzählt vom Koranunterricht mit ihren Geschwistern und Kudowski von der Großmutter zu der er als Kind vor den väterlichen Wutausbrüchen floh. 

Unterkühlte Umwelt

Es ist eine schöne Idee, die drei durch das gleichgültige Land zu schicken. Sie einander auszuliefern und sie in einer unterkühlten Umwelt auf die Suche nach Geborgenheit zu schicken. Und doch bleiben die Protagonisten holzschnittartig. Der feinsinnige Robert, der keinen Appetit auf dieses Leben hat und keinen Bissen mehr runterkriegt ist die stärkste der drei Figuren. In ihr steckt wohl auch das meiste von Lebert. In einem Interview mit der Zeit sprach der Autor kürzlich über seine Magersucht und seinen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik.

An der Oberfläche

Neben Robert wirken die beiden anderen Charaktere besonders flach. Annina, die hübsche, kecke Muslima, die sich einen deutschen Namen gegeben hat und sich gegen Ende des Buches als Lesbe outet. Kudowski, aus zerrüttetem Elternhaus, das Raubein mit dem weichen Kern. Es verleiht ihnen keine Tiefe, wenn Lebert Sätze schreibt wie: „Jetzt, da Annina ihn anblickte, ... , und aus ihren Zügen wieder ganz sacht die Traurigkeit sprach, dachte er daran, dass er mittlerweile schon viel mehr über sie wusste.“

Der Leser weiß am Schluss wenig über Kudowski und Annina, auch wenn er ihre „Momente der Geborgenheit“ kennt. Aus den betont sexistischen Wortgefechte, die sich die beiden ständig liefern erschließt sich nichts. Er markiert den Macho, sie pariert die Verbalattacken. Lebert mag diese Gespräche dem Alltag abgelauscht haben. In seiner poetischen Reise auf der Suche nach Geborgenheit sind sie Fremdkörper, die die Personen kein Stück lebendiger machen.

Am Ende des Buches treffen die drei in einer Kirche mit anderen Schlafverweigerern zusammen. Offenbar reicht das an Gemeinschaft und Nähe aus, um Robert seinen Appetit zurückzugeben. Nach der Messe will er essen – mit seinen neuen Freunden Annina und Kudowski. So bleibt – bei aller Sprachgewalt, die Leberts Buch auszeichnet und lesenswert macht – letztlich das Gefühl, dass hier nur sehr zaghaft an der Oberfläche gekratzt wurde.

Benjamin Lebert: „Im Winter dein Herz“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 157 Seiten, 18,99 Euro, ISBN 978-3-455-40360-2

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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