Cetarti verbringt den größten Teil seiner Zeit kiffend vor dem Fernseher. Tierdokumentationen und Geschichtssendungen liefern das Begleitprogramm zu reichlich eintönigen Tagen. Aus dieser Monotonie reißt ihn ein Anruf: Seine Mutter und sein Bruder wurden erschossen. Die Nachricht führt den Protagonisten von Busqueds Roman nach Lapachito und den Leser in eine surreale Welt, die erschreckend echt wirkt. Der Ort versinkt im Schlamm. Die Häuser haben Risse, die Bäume sind tot. Handttellergroße Käfer, deren Gift Finger kosten kann, scheinen wenig bedrohlich im Vergleich zu den Menschen, die sich in diesem Roman bewegen.
"Unter dem bösartig heftigen Sonnenlicht" Lapachitos wurden Cetartis Bruder und seine Mutter von deren Geliebtem erschossen, bevor dieser sich selbst tötete. All das interessiert Cetarti wenig. Was ihn herführt, ist die Aussicht auf Geld. Der Mann, der ihn von dem Mord informiert hat, Duarte, hat die Auszahlung einer Lebensversicherung ins Spiel gebracht.
Lebensversicherung in Aussicht
Duarte - Freund und Testamentsvollstrecker des Mörders - erklärt, er könne die Auszahlung von dessen Lebensversicherung trotz der Umstände erreichen und wäre zu einer fifty-fifty-Teilung bereit. Cetarti, seit sechs Monaten arbeitslos und ohne Perspektive, willigt ein. So ist er im Geschäft mit Duarte. Dieser ehemalige Luftwaffenoffizier bastelt in seiner Wohnung Flugzeugmodelle und digitalisiert Pornofilme. Es interessiere ihn lediglich, "wie weit die menschliche Gattung gehen kann", räumt Duarte ein, als Cetarti entsetzt auf die sexuellen Erniedrigungen reagiert, die da über den Bildschirm flimmern.
Was Cetarti nicht weiß, ist, dass sein neuer Bekannter auch Geschäfte mit dem Sohn des Mörders macht: Danielito und Duarte entführen Menschen und lassen sie gegen Lösegeld frei. Im Keller eines Hauses halten die beiden ihre Opfer gefangen, foltern sie und setzen sie unter Drogen, während sie selbst in aller Seelenruhe fernsehen, essen und kiffen. Dieser zweite Handlungsstrang des Romans führt noch tiefer in eine abgründige Welt und rührt noch unmittelbarer an die jüngste argentinische Geschichte. An Diktaturen, in denen Erniedrigung, Staatsterror, Entführung und Gewalt auf der Tagesordnung standen.
Die jüngste Geschichte Argentiniens
Als "Desaparecidos", Verschwundene, werden in Argentinien jene bezeichnet, die von der Militärdiktatur entführt und ermordet wurden. Busqueds Roman verweist auf diese Bedrohung, auf Folter und Repression. Seine Charaktere leben so eintönige wie bizarre Leben, Grausames ist allgegenwärtig. Giftige Insekten, abgestumpfte und gleichsam bedrohliche Menschen und rätselhafte Lebewesen wie Axolotl und Riesenkalamare sind Teil einer dichten Komposition. Albtraum und Wirklichkeit verschmelzen zu einem verstörenden Roman. Die Sprache des Autors ist klar, sein Blick unerbittlich.
"Lange Zeit habe ich mich für die Strippenzieher diverser Genozide interessiert, auch für Leute auf den untersten Hierarchieebenen", erklärte Carlos Busqued in einem Interview mit "Critica de la Argentina". Wie Hannah Arendt gilt sein Interesse der Humanisierung: "Was wird aus einem solchen Typ, wenn er nicht mehr sein Ding drehen kann?" Duarte, die Figur im Zentrum des Romans, die die beiden Handlungsstränge miteinander verknüpft, ist wohl der Charakter, anhand dessen Busqued dieser Frage am intensivsten nachgeht. Der Leser folgt gebannt und tief beeindruckt von dem Erzähltalent des 40-jährigen Argentiniers.
Carlos Busqued: "Unter dieser furchterregenden Sonne", Kunstmann Verlag, München, 2010, 190 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-88897-678-0