Kultur

40 Jahre und kein bisschen weise

von Die Redaktion · 9. April 2008
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Auch wenn er nicht anwesend war, schwebte Götz Aly dennoch über dem Podium im französischen Dom in Berlin. Im wieder kreiste die von der "Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte" veranstaltete Diskussion um sein umstrittenes Buch "1968 - Unser Kampf". Aly hat darin die Wortführerschaft im Lager der 68-Abrechner übernommen. Für ihn stehen die 68er in einer Tradition mit ihren nationalsozialistischen Eltern. Die Studentenunruhen sind für Aly eine Forsetzung der Nazi-Bewegung von 1933.

Dieser Interpretation wollte sich nicht einmal der konservative Historiker Paul Nolte anschließen. "Richtig ist aber, dass 1968 ohne die Geschichte des Dritten Reiches nicht denkbar ist." Der damalige Widerstand der jüngeren Generation gegen die Nazi-Eltern sei Teil eines "Post-Faschistischen Syndroms", dass Deutschland seit 1945 begleite. "Es ist die ständige Angst, Deutschland könne wieder zu einem faschistischen System werden", so Nolte.

Er kritisierte die Mär von der demokratischen Neugründung im Jahr 1968. Die Bundesrepublik sei auch schon vorher, nämlich seit 1949, eine Demokratie gewesen.

Gesine Schwan betonte dagegen, eine breite demokratische Kultur habe es in der Bundesrepublik vor 1968 sicherlich nicht gegeben. "Wir dürfen die Kontinuität der Eliten nicht unterschätzen." So hätten in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens noch Alt-Nazis gesessen.

Widersprüche zulassen

Für den Historiker und langjährigen Leiter des Wissenschaftszentrums Berlin, Jürgen Kocka, wurde 1968 der Grundstein für eine neue demokratische Beteiligungskultur gelegt. "68 hat einen langfristigen Beitrag zur Stärkung der BRD geleistet." Die Ereignisse von damals als Neugründung der BRD zu interpretieren, sei allerdings übertrieben, so Kocka. Er kritisierte, dass 1968 hauptsächlich medial gedeutet werde. In Erinnerung blieben Bilder der Studentenproteste. Was damals wissenschaftlich geleistet wurde, bleibe außen vor.

Gesine Schwann plädierte dafür, beim Ringen um die Deutung von 1968, Widersprüche zuzulassen. "Viele haben mich damals in ihrem Habitus an ihre als autoritär kritisierten Eltern erinnert", sagte die Präsidentin der Europa-Universität in Frankfurt/Oder. Auch die verbreitete Verehrung des Diktators Mao passe nicht zu Forderungen nach mehr Demokratie.

"Was ich abwegig finde, ist, dass 1968 angeblich zu einem Werteverlust in der Gesellschaft geführt habe. Mit so einer Aussage wird die gesamte Emanzipationsbewegung diskreditiert", sagte Schwan.

Karsten Wiedemann

Info: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte



Eine Ausstellung mit dem Titel "1968 - Brennpunkt Berlin" ist noch bis zum 31. Mai 2008 im Amerika-Haus in Berlin zu sehen.
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