Exklusiv im vorwärts sprach Marne Levine, Vizepräsidentin für Globale Politik von Facebook, über ihr Netzwerk und die Politik. Ein Interview

vorwärts: Gestatten Sie eine persönliche Frage zunächst: Wie viele Freunde haben Sie?

Marne Levine: Das kommt darauf an, wie man Freunde definiert. Auf Facebook 1500, 1800 oder so; ich weiß es gar nicht genau.

Viel mehr als ich. Bei mir sind es nur fünf oder sechs. Aber ich bin auch nicht bei Facebook. Warum sollte ich mich dort anmelden?

Wir geben Menschen die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, zu pflegen und Wissen zu teilen. Mehr als 900 Millionen Menschen nutzen Facebook weltweit. Das schafft großartige Möglichkeiten.

Zum Beispiel?

Geschäftsleute können sich neue Märkte erschließen, neue Kunden erreichen. Medienunternehmen finden neue Leser oder Zuschauer, engagiertere Leser.  Privatleute können Bekanntschaften herstellen oder erneuern, sie können andere an ihrem Leben teilhaben lassen.

Und wenn ich das gar nicht möchte?

Sie entscheiden selbst, was Sie mitteilen wollen und wem. Regierungen oder Parteien können die Plattform für Diskussionen nutzen. Das Beste: Wenn mir Freunde, deren Meinung ich schätze, einen Artikel aus dem vorwärts empfehlen, lese ich ihn womöglich.

Hillary Clinton ist Außenministerin einer Nation mit knapp 300 Millionen Menschen. Sie sind die Außenministerin einer Gemeinschaft von 900 Millionen. Wer ist mächtiger?

Du liebe Güte, damit will ich mich nicht vergleichen. Facebook ist eine Gemeinschaft von Menschen, die nach den Regeln der Gemeinschaft ihre Ideen  und Meinungen austauschen. Eine sehr vielfältige Gemeinschaft.

Wie die Vereinigten Staaten doch auch.

Unsere „Macht“ ist die Fähigkeit, Verbindungen herzustellen. Es ist die Macht der User. Ein Beispiel: Zwei Leute haben eine Facebook Applikation entwickelt, privaten Energieverbrauch zu messen und mit dem von Freunden und Verwandten zu vergleichen. Das ändert Verhaltensweisen und nutzt am Ende allen. Oder: In einigen Ländern haben wir eine Organspenden-Aktion gestartet. Bedenken Sie: Allein in den USA warten täglich 114 000 Menschen auf eine Organspende. Hier geht es um Leben und Tod.

Also ist Facebook doch eine politische Macht. Was sind deren Ziele?

Wir haben keine politische Agenda. Wir befähigen Menschen, Firmen und Organisationen, mehr aus ihren Möglichkeiten zu machen und Probleme zu lösen, auch global. Ein anderes Beispiel: In Japan hatten wie ein Entwicklerteam. Nach dem Erdbeben und Tsunami verließen sie Tokio. Während sie im Hotel saßen, erhielten sie Fragen von Freunden und Verwandten: Seid ihr ok? Geht es euch gut? Da wurde ihnen klar: Facebook kann eine Plattform dafür sein, in Katastrophenfällen schnell und effizient Informationen weiterzugeben: Wo gibt es Wasser, wo Decken? So können sich Communities bilden, die Selbsthilfe organisieren. Das kann  in solchen Notfällen staatliche Organisationen entlasten.

Nun haben Regierungen nicht immer gute Absichten. Auch „böse“ Regimes können sich Facebook zunutze machen. Geheimdienste in China und anderswo freuen sich über die zahlreichen Infos, die sie auf Facebook finden. Macht Ihnen das keine Sorge, wie gehen Sie damit um?

Es ist unser Anliegen, die Welt durch unseren Dienst offener und verbundener zu machen. Wir glauben daran, dass es in allen Ländern ein Vorteil ist, wenn Menschen untereinander Kontakte herstellen und einander helfen können. Unsere Philosophie ist: Wir lehnen Anonymität ab. Wer Facebook nutzt, muss sich zu erkennen geben, mit seinem richtigen Namen. Das schafft Sicherheit: Wenn Dich jemand hereinlegen will, kannst Du herausfinden, wer es ist.

Aber andere wissen auch, wer Du bist und mit wem Du Dich abgibst: Geheimdienste, Vorgesetzte.

Wer seinen Klarnamen benutzt, weiß, dass er zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Menschen handeln verantwortlicher, wenn der eigene Name darunter steht..

Facebook behauptet, allein in Deutschland indirekt 35 000 Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Wie ist das möglich?

Das sind Zahlen, die Deloitte ermittelt hat, ein unabhängiges Beratungsunternehmen. Beispiele: Wooga ist hier in Berlin durch die Nutzung sozialer Netzwerke zum weltweit zweitgrößten Entwickler von Online-Spielen geworden und expandiert weiter. Oder: Wenn jemand eine Geschäftsidee hat, kann er sie auf Facebook erproben. Daraus ist eine völlig neue Branche entstanden: die App-Ökonomie. Oder: Trachten Angermaier gibt es seit 63 Jahren. Durch Präsenz bei Facebook hat Angermaier aus dem Stand seinen Umsatz um 16 Prozent gesteigert.

„vorwärts“ ist die Zeitung der SPD. „vorwärts“ ist auf Facebook, die SPD nutzt Facebook. Dennoch: Haben Sie Ratschläge, Facebook im politischen Geschäft besser zu nutzen?

Wir bieten Politikern ein Training an, Facebook optimal einzusetzen.

Ohne das Training: Wenn ich für ein Bürgermeisteramt kandidieren würde, was sollte ich tun?

Sofort eine Seite auf Facebook einrichten. Kreieren Sie ihre Chronik, erzählen Sie Ihre Geschichte, stellen Sie sich vor! Sie können Fotos, Videos, Zeitungsartikel einstellen: Dinge, die Interesse wecken, Aufmerksamkeit erzeugen.

Was ist der Unterschied zur Homepage im Internet?

Die Homepage ist statisch, Facebook ist dynamisch. Ihre Website muss ich aufsuchen, um etwas über Sie zu erfahren. Wenn Sie bei Facebook sind, kann ich ihr „Freund“ werden, indem ich den „Gefällt mir“-Knopf drücke, und fortan werde ich über alles informiert, was Sie auf Facebook tun. Und: Ich kann meine Freunde auf Sie aufmerksam machen. So entsteht ein wachsendes Netz.  

Welcher Politiker, welche Partei nutzt Facebook aus Ihrer Sicht am effektivsten?

Die Obama-Kampagne hat eine hervorragende Timeline erstellt. Der Premierminister von Neuseeland ebenfalls. Die Romney-Kampagne nutzt Facebook sehr effizient. Oder: In den USA gibt es auf Facebook die Applikation „Citizen Co-Sponsor“. Dabei werden Gesetzentwürfe von Bürgern kommentiert und weiterempfohlen. Das verändert  den Umgang von Politikern mit Wählern. Es verändert die Art zu regieren. In Island wurde auf diese Weise 2010 eine neue Verfassung geschrieben.

Wer online aktiv ist, nimmt Einfluss. Wer nicht mitmacht, wird übergangen: Wird so nicht das demokratische Prinzip unterhöhlt, das heißt: one man (and woman) – one vote?

Wählen bleibt Wählen. Hier geht es um Beteiligung und Partizipation. Normalerweise nehmen nur gut organisierte Lobbyverbände Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Jetzt nehmen auch Menschen Einfluss, die zuvor unsichtbar waren. Das unterhöhlt nicht die Demokratie, sondern stärkt sie.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Facebook ist vor wenigen Tagen spektakulär an die Börse gegangen. Wieviele Aktien haben Sie zum Ausgabekurs gekauft?

Kein Kommentar.

Schade. Aber: Zu welchem Kurs würden Sie mir empfehlen einzusteigen?

Auch darüber rede ich nicht.

OK, dann: Wer wird die US-Präsidentschaftswahl gewinnen, Obama oder Romney?

Auch darüber rede ich nicht. (lacht)

Keine weiteren Fragen. Vielen Dank für das Gespräch!

Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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