Vor hundert Jahren gab die SPD auf ihrem Mannheimer Parteitag ihren Anspruch auf, gegenüber den Gewerkschaften eine politische Vormachtstellung zu besitzen. Dieses Bündnis zwischen SPD und
Gewerkschaften hat trotz zahlreicher Streitigkeiten maßgeblich zur Errichtung des bundesdeutschen Sozialstaats beigetragen.
Zwischen Radikalismus und Revisionismus
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich beide zu Massenorganisationen entwickelt, die Antworten auf den Industriekapitalismus und deren sozialen Folgen geben wollten. Innerhalb der
Sozialdemokratie tobte der Richtungskampf zwischen dem revisionistischen Flügel um Eduard Bernstein und den Marxisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht um den richtigen Weg zum Sozialismus.
Gleichwohl praktizierte die Mehrheit der Sozialdemokraten nach Ende des Ersten Weltkriegs eine pragmatische Politik. Unter der Führung des Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen
Gewerkschaftsbundes, Carl Legien, kam es zu einem antirevolutionären Bündnis, um die Demokratie zu verteidigen. Die SPD übernahm mit dem Parteivorsitzenden Friedrich Ebert an der Spitze die
Regierungsverantwortung.
Die politische Ausrichtung beider Organisationen schwankte in der Jahren der Weimarer Republik zwischen programmatischer Prinzipientreue und tagespolitischen Pragmatismus. Vor allem die
wirtschaftliche Depression Ende der zwanziger Jahre bewirkte den Zusammenbruch der Republik. Das jahrzehntelange Bündnis zwischen SPD zerbrach im Moment der Machtübernahme durch die
Nationalsozialisten.
Viele Menschen aus der Arbeiterbewegung warteten in Gefängnissen und Konzentrationslagern oder im Exil auf die Befreiung. Nach dem Ende des Nazi-Diktatur kam es rasch zum Wiederaufbau der SPD
und den Gewerkschaften. Sie trugen entscheidend zum Aufbau der sozialen Demokratie und zur Entwicklung der Einheitsgewerkschaft bei.
Modell der Sozialpartnerschaft
Anfang der fünfziger Jahre erlebten die Deutschen ein Wirtschaftswunder. Diese Entwicklung ging mit einer ideologischen und praktischen Anpassung beider Organisationen einher. Der
Reformsozialismus setzte sich endgültig durch.
Die Sozialdemokratie gelangte mit dem 1959 auf dem Bad Godesberger Parteitag
1966 der Schritt in die Regierungsverantwortung. Die Gewerkschaften ihrerseits machten sich seit ihrem Grundsatzprogramm 1963 an den wirtschafts- und sozialpolitischen Ausbau
Westdeutschlands.
Gleichzeitig prägten neue Führungspersönlichkeiten das Land. Auf Seiten der SPD Männer wie Willy Brandt, Karl Schiller, Helmut Schmidt oder Herbert Wehner. Im DGB hatten Otto Brenner und
Georg Leber die Modernisierung der Gewerkschaftsbewegung eingeleitet, die in den siebziger Jahren unter Heinz-Oskar Vetter fortgeführt wurde. Sie wirkten an einer Politik mit, die dazu beitrug,
dass die Bundesrepublik zum Modellstaat der Sozialpartnerschaft wurde. Sichtbar wurde dies an niedrigen Streikraten, stetig steigenden Reallöhnen und fallenden Arbeitszeiten.
Der politische Höhepunkt war der "Machtwechsel 1969. Brandt wurde der erste sozialdemokratische Bundeskanzler. Das Motto seiner Regierungskoalition war "Mehr Demokratie wagen". Zum
Bundeskabinett gehörten zahlreiche Gewerkschafter, etwa Georg Leber, Walter Arendt, Käte Strobel u. a.
Schon ein Jahr nach seiner Wiederwahl 1972 mussten alle Erwartungen an außerordentliche demokratische und sozialpolitische Änderungen der Bundesrepublik zurückgeschraubt werden. Der
finanzielle Spielraum hatte sich verringert. 1974 trat Brandt zurück. Die politische Gesamtlage hatte sich entscheidend verändert. Das internationale Wirtschaftsgefüge geriet ins Wanken. Helmut
Schmidt wurde neuer Bundeskanzler. Er als "Krisenmanager" versprach den Bürgerinnen und Bürgern "Kontinuität und Konzentration". Abermals glückte ein Reformvorhaben: 1976 wurde das
Mitbestimmungsgesetz verabschiedet. Zur selben Zeit sorgten zahlreiche Einsparungen zu Protesten gegen die Regierungskoalition. 1982 wurde die rot-gelbe Koalition beendet.
Oppositionsjahre und Umbau des Sozialstaates
Nun folgten für die SPD sechzehn Jahre in der Opposition. Der neue Bundeskanzler
beabsichtigte die "geistig-moralische Wende". In der Sozialpolitik sah der neue Bundeskanzler eine Flexibilisierung und Deregulierung vor. Es kam zu harten Auseinandersetzungen um
Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung. Eine Reaktivierung des Bündnisses von SPD und Gewerkschaften trat nicht ein. Dies lag unter anderem daran, dass die gesellschaftlichen Problemlagen komplexer
geworden waren.
Globalisierung, die deutsche Einheit, Staatsverschuldung, Umweltprobleme und die Modernisierung des Sozialstaats stellten die Beziehung von SPD und Gewerkschaften vor schweren
Belastungsproben.
Schröder-Jahre und Auseinandersetzungen
Als 1998 die rot-grüne Bundesregierung die Regierungsgeschäfte übernahm, führte die Auseinandersetzung mit dem Reformprogramm Schröders in Teilen der Gewerkschaft sogar zur Infragestellung
des Bündnisses. Schlußendlich zeigte sich der DGB und seine Einzelgewerkschaften doch reformbereit. Sie hatten eine Enttabuisierung und Infragestellung ihrer ursprünglichen Positionen vorgenommen.
Ihre Rolle war die eines kritischen Partner der SPD mit innovativen Beiträgen zur Modernisierung der Tarifpolitik, zur Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Reformen und zum
sozialpolitischen Umbau.
Hundert Jahre nach Abschluss des Mannheimer Abkommens hat sich die soziale Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundlegend verändert. Gerade vor diesem Hintergrund muß klar sein, dass
eine Beschädigung des Bündnisses keinen Zuwachs an Chancengleichheit, Lebensqualität und sozialer Gerechtigkeit bringen.
Die Wanderausstellung mit vielen Bild- und Textaufnahmen, die den dornenreichen, aber auch erfolgreichen Weg des Bündnisses nachzeichnet, wird bis zum 17. Dezember in Berlin zu sehen sein.
Anschließend kann die Ausstellung bis zum 2. Februar nächsten Jahres in Bonn besucht werden.
Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastr. 17, Berlin-Tiergarten
Mo-Fr
Eintritt frei
Stefan Campen
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