100 Jahre Frauenwahlrecht – Wie weit sind wir gekommen?
„Meine Herren und Damen!“, begann Marie Juchacz am 19. Februar 1919 ihre Rede vor der Weimarer Nationalversammlung. Sie war die erste Frau in Deutschland, die eine Rede vor einem demokratisch gewählten Parlament hielt. Einen Monat zuvor hatte die erste reichsweite Wahl stattgefunden, bei der Frauen das aktive und passive Wahlrecht besaßen. Daraufhin zogen insgesamt 423 Abgeordnete – darunter 37 Frauen – in die Nationalversammlung ein. „Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Mit diesen Worten machte die SPD-Politikerin deutlich, dass Frauen der Regierung keinen Dank dafür schuldig sind, dass sie endlich das allgemeine Wahlrecht bekommen hatten.
Gender Pay Gap und Zielquote Null
Hat sich ihr Denken heute tatsächlich umgesetzt? Darüber haben Robert Franken, Feminismusaktivist und Unternehmensberater, Katarina Barley, Bundesjustizministerin, und Margarete Stokowski, Journalistin und Autorin, am Donnerstag debattiert. Anlass der Podiumsdiskussion war die Eröffnung der Ausstellung „100 Frauen und 100 Jahre Frauenwahlrecht“ im BMJV. 65 Illustratorinnen haben dafür 100 deutsche, österreichische und Schweizer Frauen aus den vergangenen 100 Jahren porträtiert. 75 dieser Porträts werden in der Ausstellung im BMJV gezeigt. Auch SPDlerinnen sind dabei: So etwa Meta Quarck-Hammerschlag, die während der Weimarer Republik als erste Frau dem Magistrat der Stadt Frankfurt am Main als ehrenamtliche Stadträtin angehörte und Wibke Bruhns, die 1971 als erste Frau die heute-Nachrichten präsentierte.
Laut Artikel 3 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, heißt es in Absatz 2. Doch in Wahrheit sieht es anders aus: Gender Pay Gap und Zielquote Null in Führungspositionen deutscher DAX-Unternehmen sind noch immer nicht beseitigt.
Wie gegen Anfeindungen resistent bleiben?
Hinzu kommen frauenfeindliche Anfeindungen, denen Frauen immer wieder ausgesetzt sind. „Wie bleiben Sie diesen Diffamierungsattacken gegenüber resilient?“, fragte Franken die beiden Gesprächspartnerinnen. Die meisten Beleidigungen – so das Bild einer „kreischenden Masse von Emanzen mit grellen Stimmen“ – sei „so ein Bullshit“, dass es sie nicht treffen könne, antwortete Stokowski. Barley entgegnete, dass diese Angriffe häufig nicht an sie persönlich, sondern an ihr Amt oder ihre Partei gerichtet seien. “Wenn diese Leute mich kennen würden, würden sie solche Sachen nicht über mich schreiben“, sagte sie.
Margarete Stokowski hat eine andere Art des Umgangs gefunden. Um sich von blöden Fragen oder Aussagen nicht aus der Bahn werfen zu lassen und antworten zu können, solle man am besten immer „eine Poesie des Fuck You“ parat haben. Man solle so reagieren, dass es Spaß macht, rät sie.
Wie holen wir die Männer mit ins Boot?
Einer der Gründe, weshalb sich heute noch viele Männer gegen die feministische Bewegung wehren, ist die Bedrohung, Privilegien aufgeben zu müssen. Sie beziehen die Gleichberechtigung der Frau auf ihre persönliche Situation und sehen etwa in der Frauenquote eine Gefahr für sich selbst, äußerte sich Barley.
Deshalb sei es wichtig, Männern deutlich zu machen, dass auch sie davon profitierten, wenn veraltete Stereotype gebrochen werden, so Barley. Dann wären Männer etwa von Geschlechterkonstrukten, nach denen es unmännlich sei, wenn ein Vater sein Kind in der Öffentlichkeit in einer Bauchtrage trägt, befreit. Im Oktober hatte der TV-Moderator Piers Morgan den James-Bond-Darsteller Danial Craig als „entmannten Bond“ bezeichnet, weil er seine kleine Tocher in einer Bauchtrage trug.
Männer wie Frauen reagierten daraufhin mit harter Kritik auf Morgans veraltete Vorstellung von Männlichkeit. Väter posteten als Zeichen ihrer Ablehnung solcher Rollenmodelle Fotos auf den sozialen Netzwerken, in denen sie ihre Kinder in einer Babytrage tragen.
Jede*r solle so sein, wie er oder sie sein möchte, sagte Barley. Abgesehen davon, dass die Benachteiligung der Frau gesetzeswidrig ist, verlieren Männer wie Frauen durch das Festhalten an alten Geschlechterkonstruktionen auch auf der persönlichen Ebene die Möglichkeit, sich frei entfalten zu können.
studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.