Zwingt Griechenland Europa zum Kurswechsel?
Es war eine der schwierigsten Wochen für die Griechen seit Ausbruch der Krise. Die Kapitalkontrolle lastet schwer auf dem Land. Keine Auslandsüberweisungen, keine Zahlungen mit Kreditkarten oder Paypal. Nur noch 50 Euro am Tag dürfen von jedem griechischen Konto abgehoben werden. Die vielen Menschen ohne Bankkarte, vor allem die Rentner, sind derzeit mit den geschlossenen Banken gänzlich vom Kapitalstrom abgeschlossen. Viele Automaten funktionieren nicht mehr. Den Griechen geht das Bargeld aus.
Erste Volksabstimmung in Griechenland seit 1974
In den langen Schlangen an den noch funktionierenden Geldautomaten, in den Supermärkten, in denen viele Menschen sich mit Lebensmitteln eindecken und in den eher leeren Einkaufsstraßen war das Referendum das Hauptthema. ‚Nai’ oder ‚Oxi’, ‚Ja’ oder ‚Nein’. Aber wozu? Technisch gesehen war am Sonntag lediglich zu entscheiden, ob man den Bedingungen der sogenannten Geberländer beziehungsweise der Institutionen für ein drittes Hilfspaket zustimmt oder sie ablehnt. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte nach den gescheiterten Verhandlungen die erste Volksabstimmung seit 1974 angesetzt.
Für die meisten Griechen aber ging es um mehr. Hatte man 1974 die Monarchie abgewählt, schien es am Sonntafg um den Euro und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu gehen. Gerade dies erzeugte große Unsicherheit. Vor allem die Nai-Fraktion, also jene Griechen, die den Forderungen der Institutionen zustimmen wollten, inszenierten eine wahre Kampagnenflut. „Ja zu Europa!“ war das Motto. Auf die Frage, warum in Fernsehen, auf Plakaten und im Internet deutlich mehr Nai- als Oxi-Werbung gezeigt würde, antwortet eine Frau vor ihrem Wahllokal: „Das sind die, die noch Geld haben! Die Leute, die mit ‚Nein’ stimmen können sich keine Werbung leisten. Die haben nichts mehr zu verlieren.“
Hat Tsipras sein Wort gebrochen?
Doch nicht alle ‚Ja-Sager’ kamen aus dem konservativen Lager. Einige Griechen, die bei den vergangen Parlamentswahlen für Tsipras gestimmt haben, sind enttäuscht von der neuen Regierung. „Er hat uns angelogen! Warum soll ich ihn unterstützen?“ fragt ein Anwalt in fließendem Deutsch vor einem Wahllokal im Zentrum von Thessaloniki. Anders sieht das ein 31-jähriger Promotionsstudent, der mit ‚Oxi’ gestimmt hat: „Tsipras konnte keine grundlegenden Reformen durchführen. Das war ohne eine neue Übereinkunft mit den Institutionen gar nicht zulässig.“
„Ich hätte mir die Situation heute hitziger vorgestellt,“ berichtet eine freiwillige Wahlhelferin aus einem Arbeiterbezirk im Westen Thessalonikis, zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale „Ich habe Streitigkeiten erwartet, aber es war ruhig und zivilisiert.“ In der Tat ist dies verwunderlich, war die Stimmung in den letzten Tagen doch gerade durch Drohgebärden europäischer Politiker gespannt, die ein ‚Oxi’ mit dem von vielen gefürchteten Euro-Austritt verbanden.
Die nächsten Tage werden zeigen, was das Referendum nicht nur für Griechenland, sondern für Europa bedeutet. Der Internationale Währungsfond hat einen neuen Schuldenschnitt bereits ins Gespräch gebracht. Es wird eng für die rigorosen Spar-Anhänger in Europa. Wichtig aber ist jetzt vor allem, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Die wirtschaftliche Lage in Hellas bleibt angespannt. Was die Griechen brauchen, ist Wachstum - etwas, das bisher ausgeblieben ist. „Die Griechen wollen Europa und den Euro,“ bekräftigt Antonis Schwarz von Vouliwatch, der griechischen Variante von abgeordnetenwatch.de. Inwiefern die EU das Ergebnis akzeptiert, wird in ihrer Bereitschaft zu sehen sein, die bisherige Krisenpolitik umzudenken.
Florian Schmitz ist freier Autor und lebt in Thessaloniki. Auf seinem Blog eudyssee.net berichtet er über die positiven und negativen Auswirkungen der Krise.