Zum Tod von David Sassoli: Immer die Menschen im Blick
Florian Gaertner/photothek.net
Wie viele politische Weggefährten habe ich die Nachricht vom Tode David Sassolis mit großer Bestürzung aufgenommen. Wenn ein Mensch von uns geht, der so herausgehoben Teil dieses großen Friedensprojektes Europäische Union war wie David, dann hält man inne und kann es kaum fassen. Die große Anteilnahme über den ganzen Kontinent hinweg zeigt, wie viel Respekt und Anerkennung seinem Wirken als Politiker und Mensch gezollt wird.
Ich selbst hatte die Ehre, die letzten Jahre als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments mit David zusammenzuarbeiten. Ich konnte dadurch aus nächster Nähe erleben, welch großer Europäer er war. Er hatte verstanden, was diese Europäische Union im Innersten zusammenhält: das beständige Finden von gemeinsamen Lösungen und Kompromissen. Immer in dem Bewusstsein, dass die schlechteste aller möglichen Welten der kalte Egoismus und die falschen Versprechungen des Nationalismus sind.
Gegen Hetzer und Spalter
Er verteidigte die Institution entschieden gegen jegliche Vereinnahmung durch Hetzer und Spalter. Bei aller Vehemenz, mit der er für seine politischen Überzeugungen eintrat, hatte er immer einen Scherz auf den Lippen und Zeit für einen gemeinsamen Espresso.
Was mir noch von ihm in Erinnerung bleibt: Er liebte die Menschen. Das sagt man häufig über Politikerinnen und Politiker, bei David jedoch trifft es voll und ganz zu. Es zeigte sich nicht zuletzt in dieser für uns alle herausfordernden Pandemie. Mit Augenmaß und ruhiger Hand steuerte er unser Parlament durch diese fortwährende Ausnahmesituation und führte neue, digitale parlamentarische Beteiligungsformate ein, die europa- und weltweit ihresgleichen suchen.
Das Parlament als Forum des Diskurses
Für ihn war es wichtig, dass die Pandemie uns auch als Denkanstoß dient, wie wir das Europaparlament sichtbarer und für die Bürgerinnen und Bürger nahbarer machen können. Er verstand das Parlament als zentrales Forum der Auseinandersetzung über die drängenden Fragen der Zeit, die alle Europäerinnen und Europäer beschäftigen. Wir werden den von ihm angestoßenen Reformprozess weiterführen und seinen Ideen Leben einhauchen.
Für David war immer klar: Das Parlament ist auch der Ort, an dem Menschen eine Stimme gegeben wird, die sie sonst nicht hätten. Für ihn war die Demokratie immer der Schutzraum für Verfolgte und Minderheiten und unser Parlament der Lautsprecher Europas für Rechtsstaat und Demokratie. Die Sacharow-Preise des Parlaments, die er an Vertreter der uigurischen Minderheit in China, an die belarussische Opposition, an den Menschenrechtsaktivisten Oleh Senzow und an Alexei Nawalny verlieh, legen davon Zeugnis ab.
Die Türen für die Schwächsten geöffnet
Dass er die Menschen ins Zentrum seines politischen Handelns stellte, zeigte sich eindrucksvoll, als er in Zeiten von Lockdowns in ganz Europa besonders an die Schwächsten der Gesellschaft dachte: Er öffnete die Gebäude des Parlaments für Obdachlose und ließ die Kantinen Essen an Bedürftige ausgeben. Aus all dem machte er in seiner bescheidenen, nahbaren Art keinen großen Hehl, sondern ließ lieber seine Taten für sich sprechen. Wir denken besonders an seine Familie und wünschen ihr viel Kraft in diesen schweren Stunden. Ein großer europäischer Menschenfreund ist von uns gegangen. Wir werden Dich nicht vergessen, addio David!