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Zukunft der EU: Was in Afghanistan, Polen und Ungarn jetzt wichtig ist

Wie reagiert Europa auf Afghanistan? Gibt es einen Rechtsruck in der EU und wie sollte es mit Polen und Ungarn weitergehen? Ein Blick auf die Zukunft der Staatengemeinschaft mit EU-Staatsminister Michael Roth zwischen Pragmatismus und Idealismus.
von Daniela Sepehri · 26. August 2021
Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen – innen und außen.
Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen – innen und außen.

„Das ist eine besonders schwierige Woche“, sagt Michael Roth. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten entschieden, den Schutz des Flughafens über den 31. August hinaus nicht zu gewähren, erklärt der Sozialdemokrat am Mittwoch im Gespräch mit dem „vorwärts“. „Wir verfügen jetzt nur noch über wenige Tage, um Menschen zu evakuieren.“ Anschließend müsse es darum gehen, dass Menschen Zugang zu humanitärer Hilfe bekommen.

„Wir müssen erst einmal die herrschenden Verhältnisse akzeptieren“, sagt der Staatsminister auf die Frage, ob Europa auf lange Sicht Gespräche mit der Taliban führen werde. „Das bedeutet nicht, dass wir das Regime der Taliban gutheißen.“ Gespräche seien wichtig, um den Menschen vor Ort auch über den August hinaus helfen zu können. „Diplomatie heißt nicht, sich mit Freundinnen und Freunden an einen Tisch zu setzen und ein Glas Bier zu trinken", erklärt Roth im Instagram-Live. „Diplomatie heißt eben auch, mit schwierigsten Regimen, deren Werte man definitiv nicht teilt, ein Minimum an Verständigung zu suchen.“

Gibt es einen Rechtsruck in Europa?

Der Druck auf die Demokratie wächst, nicht nur in Europa, sondern auch global, so Michael Roth. Dabei kritisiert er auch, dass die Gefahr sehr lange von Konservativen runtergespielt wurde. Dies würde sich nun rächen. In einigen Ländern säßen Nationalist*innen in den Regierungen.

Daher sei es umso wichtiger, „dass wir jetzt deutlich machen: Die Europäische Union ist eben nicht nur ein Binnenmarkt oder eine Währungsgemeinschaft, sondern wir sind vor allem und zuerst eine Wertegemeinschaft.“ Dabei verweist der hessische SPD-Mann auch auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im vergangenen Jahr: Rechtstaatlichkeit und Grundwerte seien Schwerpunkte gewesen.

Wie mit Polen und Ungarn umgehen?

„Macht nicht den Fehler und setzt eine Gesellschaft mit der Regierung gleich“, warnt Roth allerdings auch im Umgang mit Polen und Ungarn. Die Regierungen beider Länder waren mit neuen Gesetzsinitiativen immer wieder in Konflikt mit den europäischen Werten und Gesetzen geraten, die Kritik aus Europa reißt nicht ab.

Trotzdem: Roth spricht sich dagegen aus, die Staaten aus der EU auszuschließen. Im Gegenteil: Die Menschen in den Ländern bräuchten die Unterstützung der Europäischen Union. Roth fordert deswegen eine härtere Auseinandersetzung in der Europäischen Union mit den beiden Regierungen. Dafür hat die EU bereits zwei neue Instrumente auf den Weg gebracht: Der Rechtsstaats-Check soll dazu dienen, alle Mitgliedsstaaten zu überprüfen, ob diese die Rechtsstaatlichkeit einhalten. „Das zweite Instrument ist sicherlich das schwerwiegendste", erklärt Roth weiter, „Wenn ein Staat systematisch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzt, dann können wir beschließen, dass Gelder gekürzt werden. Und das scheint mir ein scharfes Schwert zu sein.“

Hat Europa eine Zukunft?

Doch wie geht es weiter in Europa mit all den Baustellen, hat die EU eine Zukunft? Für Michael Roth ist es besonders erschreckend, dass für einige Jugendliche Europa als Selbstverständlichkeit gesehen wird. Deswegen appelliert er auch an die Gesellschaft, für die EU aktiv einzustehen: „Die Menschen müssen wissen, dass ein Europa der Freiheit und der Freizügigkeit, ein Europa, wo es nicht entscheidend ist, wo du herkommst, an wen du glaubst, wen du liebst, dass das nur bewahrt wird, indem wir dieses Europa der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit bewahren und sichern.“

Vor allem Deutschland würde sehr stark von Europa profitieren, so Roth weiter. Deutsche Arbeitsplätze und deutscher Wohlstand lebten davon, dass 60 Prozent der Exporte in die Europäische Union – also in Nachbarländer – gehen. Doch nicht nur die Wirtschaft ist für den Sozialdemokraten ein wichtiges Argument für Europa: „Am Ende ist natürlich Europa immer wieder unsere Lebensversicherung in Krisenzeiten.“

 

Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch mit Michael Roth haben wir bereits am Mittwoch geführt, inzwischen hat sich die Situation offenbar weiter verschlechtert. Die Streitkräfte warnen unter anderem vor einer zunehmenden Terrorgefahr am Flughafen in Kabul, das Zeitfenster für Evakuierungen scheint sich schneller zu schließen.

Autor*in
Daniela Sepehri

war von 2021 bis Februar 2023 Social-Media-Redakteurin des vorwärts.

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