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Zeitenwende in Lateinamerika: Wie ein Rechtsextremist brasilianischer Präsident werden konnte

Vor nicht einmal zehn Jahren schien Lateinamerika eine blühende Region in Sachen Demokratie und Wohlstand. Heute fliehen hunderttausende Menschen aus Venezuela, in Nicaragua lässt Präsident Daniel Ortega auf friedliche Demonstranten schießen und in Brasilien regiert künftig ein Rechtsextremist. Wie konnte es dazu kommen?
von Jonas Jordan · 29. Oktober 2018
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Es war die progressive Wende, auf die viele jahrelang gehofft hatten. Nach Jahrzehnten geprägt von Diktaturen, Hyperinflation und Instabilität waren überall in Lateinamerika ab dem Jahrtausendwechsel Demokratie und wirtschaftliches Wachstum auf dem Vormarsch. Es sollte das „linke Jahrzehnt“ in der Geschichte des Subkontinents werden.

In Argentinien sorgte das Ehepaar Kirchner für neue Hoffnung, in Brasilien bekämpfte Präsident Lula da Silva Hunger und Armut. Gleichzeitig sorgte er für wirtschaftliches Wachstum. In Bolivien wurde der frühere Kokabauer Evo Morales zum Präsidenten gewählt, in Nicaragua der Sandinist Daniel Ortega. In Ecuador brachte Rafael Correa mit der Yasuní-ITT-Initiative ein weltweit beachtetes ökologisches Projekt auf den Weg, während Hugo Chávez in Venezuela den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ausrief.

Staatsbankrott in Argentinien, Massenflucht aus Venezuela

Doch die Hoffnungen, die viele Linke auch hierzulande mit dem Aufschwung in Lateinamerika verbanden, wurden schnell enttäuscht. Der argentinische Staat ist mal wieder bankrott, Ortega lässt in Nicaragua auf friedliche Demonstranten schießen, das Öl im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark wird inzwischen längst gefördert, aus Venezuela fliehen hunderttausende Menschen wegen der wirtschaftlichen Krise und in Kolumbien will der vor wenigen Monaten gewählte Präsident Iván Duque das Friedensabkommen mit der FARC aufkündigen. Obendrein regiert in Brasilien demnächst ein Rechtsextremist.

Mit mehr als zehn Millionen Stimmen Vorsprung gewann Jair Bolsonaro am Sonntag die Stichwahl gegen den Kandidaten der Arbeiterpartei PT Fernando Haddad. Der künftige Präsident Brasiliens fiel im Wahlkampf durch sexistische, rassistische und homophobe Äußerungen auf. Zudem positionierte er sich als Anhänger der Militärdiktatur und befürwortete die Todesstrafe. 

Schockierte Reaktionen auf Bolsonaros Wahl

Entsprechend schockiert waren die Reaktionen aus der deutschen Politik. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sprach von einem „schlimmen Wahlausgang“. Die frühere SPD-Generalsekretärin und Vorsitzende der Deutsch-Brasilianischen Parlamentariergruppe Yasmin Fahimi schrieb: „Mit Schrecken haben wir zur Kenntnis genommen, dass die brasilianischen Wählerinnen und Wähler mit Jair Bolsonaro einen Präsidenten gewählt haben, der mit Hassreden gegen Afrobrasilianer, Frauen, Homosexuelle und Indigene einen Wahlkampf der Ausgrenzung geführt hat. Diese Haltung, kombiniert mit seiner Nähe zum Militär, erfüllt uns mit großer Sorge.“

Ähnlich reagierte Udo Bullmann, Vorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament: „Wir sind zutiefst besorgt angesichts der Tatsache, dass mit Jair Bolsonaro ein Rechtsextremist, der die brutale Militärjunta bewundert und gegen Minderheiten hetzt, das fünftgrößte Land der Welt regieren wird.“

Schwäche der PT ist Teil der Krise der Linken in Lateinamerika 

Doch überraschend kam Bolsonaros Wahlerfolg nicht mehr. Er fiel letztlich sogar niedriger aus als zwischenzeitlich prognostiziert. Längst hat sich der politische Diskurs in Brasilien radikalisiert. Andersdenkende werden bedroht. Ein Musiker, der sich im Wahlkampf zur PT bekannte, wurde ermordet. Zugleich resultierte Bolsonaros Wahlerfolg auch aus der Schwäche der PT.

Ihrem Kandidaten Fernando Haddad gelang es im Wahlkampf nicht ausreichend, das im Zuge des Korruptionsskandals „Lava Jato“ erschütterte Vertrauen in die Arbeiterpartei wieder zurückzugewinnen. Die Schwäche der PT steht im Kontext einer generellen Krise der Linken in Lateinamerika. Sie hat es nicht geschafft, überzeugende Antworten auf steigende Kriminalitätsraten, wirtschaftliche Krisen und Korruption zu finden. 

Hoffnung verspricht zumindest der 1. Dezember. Dann tritt der neue mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador sein Amt an. Er versprach im Wahlkampf, Korruption und Straflosigkeit im Land zu bekämpfen sowie sozial Benachteiligte zu unterstützen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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