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Worauf es beim künftigen Präsidenten des Europaparlaments ankommt

Am Dienstag wählt das Europaparlament einen neuen Präsidenten. Der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten Jens Geier wirbt für den Sozialdemokraten Gianni Pitella. An eine Absprache mit der konservativen Fraktion aus dem Jahr 2014 sieht sich Geier nicht mehr gebunden.
von Kai Doering · 13. Januar 2017
Kandidat der S&D-Fraktion für den EU-Parlamentspräsidenten: Gianni Pitella
Kandidat der S&D-Fraktion für den EU-Parlamentspräsidenten: Gianni Pitella

In Brüssel ist der Wahlkampf ausgebrochen. Sieben Abgeordnete bewerben sich um den Posten des EU-Parlamentspräsidenten. Woher kommt das große Interesse?

Der Präsident einer der drei großen europäischen Institutionen hat einen gewaltigen Einfluss. Er kann bei den Gipfeln des Europäischen Rates, also den Konferenzen der Staats- und Regierungschefs, teilnehmen und die Meinung des Europäischen Parlaments darlegen. Er ist auch der erste Ansprechpartner für den Präsidenten der Europäischen Kommission, also zurzeit Jean-Claude Juncker. Deshalb ist es kein Wunder, dass jede Fraktion im Europaparlament, die etwas auf sich hält, einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt.

Eine Rolle dürfte dabei auch spielen, dass der Einfluss des Parlamentspräsidenten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat.

Das spielt definitiv eine Rolle. Martin Schulz hat in seinen fünf Jahren als Parlamentspräsident das Amt in großartiger und unvergleichlicher Weise ausgeübt. Es ist zu einem großen Teil ihm zu verdanken, dass das Europaparlament deutlich mehr Einfluss hat als zu Beginn seiner Amtszeit. Aus unserer Perspektive ist seine Wahrnehmung noch einmal deutlich stärker, weil er ja auch ein Deutscher ist. Aber auch international ist sein Ansehen enorm. Für die konservative Fraktion ist das übrigens ein Riesenproblem. Wenn sie ab kommender Woche den Parlamentspräsidenten stellen sollte und dieser deutlich weniger Wirksamkeit entfaltet als Martin Schulz, wäre das ein echter Imageverlust.

Bisher haben Konservative und Sozialdemokraten den Posten abwechselnd besetzt. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, hat nun eine Vereinbarung veröffentlicht, in der seiner Fraktion der Parlamentspräsident für die zweite Hälfte der Legislatur zugesagt wird. Warum wollen sich die Sozialdemokraten nicht daran halten?

Diese Absprache wurde nach der Europawahl 2014 in dem Geist getroffen, dass nicht alle drei europäischen Institutionen – Parlament, Kommission und Rat – in der Hand einer großen Parteienfamilie, sei es konservativ oder sozialdemokratisch, sein sollen. Konservative, Liberale und Sozialdemokraten waren sich einig, dass es immer nur eine Zwei-zu-eins-Situation geben darf. Als die Absprache unterschrieben wurde, war immer noch in der Diskussion, dass ein Sozialdemokrat Präsident des Europäischen Rates werden könnte. Diese Situation hat sich nun geändert, Rat und Kommission werden von einem Konservativen geführt. Deshalb sehen wir uns an die Vereinbarung nicht mehr gebunden.

Warum ist es wichtig, dass nicht alle drei Posten von Mitgliedern einer Parteinfamilie besetzt sind?

Für mich ist das eine demokratische Frage. Die europäische Gesellschaft teilt sich weltanschaulich auf. Es gibt Konservative, Progressive oder Liberale. Die europäischen Institutionen sollten das abbilden. In bestimmten politischen Systemen, etwa in Großbritannien, gilt zwar das Prinzip „The winner takes it all“, aber das ist aus meiner Sicht für die Europäische Union nicht praktikabel. Die Konservativen mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker haben bei der Europawahl die Mehrheit geholt. Deshalb war klar, dass ihn das Parlament auch zum Kommissionspräsidenten wählen würde. Der Ratspräsident wird von den nationalen Regierungen bestimmt. Ein direkter demokratischer Einfluss ist hier nicht möglich. Auch dieses Amt ist mit Donald Tusk von einem Konservativen besetzt. Um die unterschiedlichen Strömungen in Europa abzubilden und einer europäischen Öffentlichkeit gerecht zu werden, sollte der Parlamentspräsident aus einer anderen Parteienfamilie kommen.

Die SPE-Fraktion hat Gianni Pitella als Kandidaten nominiert. Was qualifiziert Pitella für den Posten?

Gianni Pitella ist ein glühender Europäer. Er steht mit seinem gesamten politischen Dasein für die europäische Zusammenarbeit. Als Parlamentspräsident wird er glaubhaft dafür kämpfen, dass der soziale Pfeiler der Europäischen Union deutlich gestärkt werden muss. Ich bin auch sehr sicher, dass er gegenüber der EU-Kommission deutlich bestimmter auftreten wird als es der Kandidat der Konservativen, Antonio Tajani, tun würde. Da die Kommission von einem Christdemokraten geführt wird, hält sich nämlich die christdemokratische Fraktion im Parlament mit der Kritik an Jean-Claude Juncker deutlich zurück. Hinzu kommt, dass Gianni Pitella auch die institutionelle Erfahrung mitbringt, weil er lange Vizepräsident des Europaparlaments gewesen ist. Das alles macht ihn für mich zum besten Kandidaten.

Wie groß schätzen Sie seine Chancen ein, tatsächlich gewählt zu werden?

Bei dem großen Bewerberfeld wird sicher kein Kandidat gleich im ersten Wahlgang die Mehrheit von 376 Stimmen bekommen. Es kann gut sein, dass es bis in einen vierten Wahlgang geht. Wir Sozialdemokraten setzen darauf, dass sich spätestens dann der progressive Teil des Europaparlaments hinter Gianni Pitella versammelt. Wenn es so käme, hätte er eine Mehrheit. Ich bin da recht optimistisch.

Unabhängig von der Person: Was wird die wichtigste Aufgabe des neuen Parlamentspräsidenten sein?

Europa geht es zurzeit nicht gut. Das liegt vor allem daran, dass sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten allzu oft nicht einigen können. Der Europäische Rat tagt allzu oft und kommt zu keinen richtigen Ergebnissen. Ein Parlamentspräsident kann und muss hier darauf dringen, dass die Regierungen zu Entscheidungen kommen, die mehr sind als der kleinste gemeinsame Nenner. Um es etwas pathetisch auszudrücken: Der Parlamentspräsident muss die europäische Zusammenarbeit vor nationalen Egoismen retten.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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