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Wird Israels Oberstes Gericht Netanjahus Justizreform stoppen?

Mit einer heftig umstrittenen Reform will die rechte Koalition von Premier Netanjahu Israels Justiz schwächen. Das Oberste Gericht könnte gegen seine Entmachtung einschreiten. Doch das birgt ein hohes Risiko.
von Christian Rath · 26. Juli 2023
Massive Prosteste: Seit Monaten gehen Tausende Israelis auf die Straße, um gegen die von Premierminister Benjamin Netanjahu angestrebte Schwächung des Obersten Gerichtes zu demonstrieren, hier am 24. Juli 2023 in Jerusalem.
Massive Prosteste: Seit Monaten gehen Tausende Israelis auf die Straße, um gegen die von Premierminister Benjamin Netanjahu angestrebte Schwächung des Obersten Gerichtes zu demonstrieren, hier am 24. Juli 2023 in Jerusalem.

Das Oberste Gericht Israels steht vor einem äußerst schwierigen Fall. Das Gericht muss über mehrere Klagen gegen das am Montag vom Parlament beschlossene Gesetz befinden, mit dem die Befugnisse des Obersten Gerichts beschnitten wurden.

Bisher konnte das Oberste Gericht Akte der Regierung beanstanden, wenn diese „unangemessen“ sind. Gemeint waren insbesondere Akte, bei denen das Gemeinwohl viel zu wenig berücksichtigt wurde. So wurde etwa im Januar die Ernennung des vorbestraften Ministers Arie Deri von der strengreligiösen Schas-Partei blockiert. Eine derartige Befugnis hat zum Beispiel das deutsche Bundesverfassungsgericht nicht.

Netanjahus Ziel ist die Schwächung der Justiz

Die Knesset hat mit der Mehrheit von Ministerpräsident Netanjahu  und seinen religiösen und rechtsextremen Koalitionspartnern diese Angemessenheits-Kontrolle am Montag per Gesetz abgeschafft. Es ist das erste Gesetz einer großen und hoch umstrittenen Justizreform, die darauf abzielt, die Justiz zu schwächen und die Regierungsmehrheit zu stärken.

In der oppositionellen israelischen Öffentlichkeit gilt die gezielte Schwächung des Obersten Gerichts als Schritt zu einem autoritären Staat. Denn Israel hat wenig Mechanismen der Machtkontrolle. So ist Israel kein Bundesstaat und es gibt daher keinen Bundesrat als ausgleichenden Teil der Gesetzgebung.

Eingaben der Opposition an das Oberste Gericht

Doch die Opposition setzt nun nicht nur auf Straßenproteste und zivilen Ungehorsam. Bereits mehrere Eingaben (Petitionen) fordern das Oberste Gericht auf, das Gesetz von Montag für illegal zu erklären. Eine dieser Petitionen kommt von der israelischen Anwaltskammer.

Was aber könnte der Maßstab für eine Entscheidung sein? Israel ist ein Staat ohne geschriebene Verfassung. Es gibt dort nur ein Dutzend sogenannter Grundgesetze, in denen wichtige Strukturen des Staates geregelt sind. An diesen Grundgesetzen kann der Supreme Court andere Gesetze messen.

Wird das Gericht erstmals ein Grundgesetz kippen?

Allerdings ist die Abschaffung der Angemessenheits-Kontrolle selbst Teil eines Grundgesetzes und bisher hat das Oberste Gericht noch nie ein Grundgesetz beanstandet. In dieser zugespitzten Situation dürfte aber auch dies nicht ausgeschlossen sein.

Dabei kommen mehrere Argumente in Betracht, um das Gesetz von Montag für nichtig zu erklären. So könnte das Gesetz gegen die „Kern-Werte“ der Demokratie verstoßen. Diesen Maßstab hat das Oberste Gericht schon bei anderen Gelegenheiten benutzt. Außerdem könnte der Oberste Gerichtshof darauf abstellen, dass ja ein ganzes Bündel an Gesetzen geplant ist und jedenfalls alle Maßnahmen zusammen die Gewaltenteilung zwischen Politik und Justiz gefährden.

Es droht eine ernste Verfassungskrise

Für Ministerpräsident Netanjahu und seine Koalitionspartner dürften solche Überlegungen jedoch Beleg für ihre These sein, dass das Oberste Gericht zu viel Politik macht und die demokratisch gewählte Mehrheit zu oft behindert.

Sollte das Oberste Gericht dennoch das Gesetz von Montag für illegal erklären, ist es gut möglich, dass die Regierung das Urteil nicht akzeptiert. Dies wäre dann ein äußerst ernste Verfassungskrise. Das Gericht will im September über die Eingaben verhandeln.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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