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"Wir müssen lernen, mit der terroristischen Gefahr zu leben!"

von Ramon Schack · 14. März 2011
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Herr Thamm, die Unruhen in der Arabischen Welt halten an, in Libyen tobt sogar ein offener Bürgerkrieg. Unabhängig von den politischen Auswirkungen vor Ort könnten die Ereignisse zu einer erhöhten Terrorgefahr in Europa führen oder ist eher das Gegenteil der Fall?
Berndt Georg Thamm: Es ist noch zu früh eine Prognose zu wagen. Bisher handelt es sich ja um innenpolitische Umbrüche, um den Sturz von autoritären Regimen. Inwieweit die Sicherheitslage in Europa davon betroffen sein könnte, hängt von dem weiteren Ausgang dieser politischen Transformation ab, vor allem davon, wer letztendlich die Macht in den Händen halten wird.

Ihr neues Buch trägt den Titel "Terrorziel Deutschland". Kürzlich wurde ein Anschlag am Frankfurter Flughafen verübt, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. War das einer der "erfolgreichen" Terroranschläge, die wir erwartet haben, vor denen Sie in dem Buch warnen?
Im Sprachgebrauch der Djihadisten ein "erfolgreicher Anschlag", wir sollten diesen jedoch nicht übernehmen. Allerdings handelt es sich um den ersten, auf deutschem Boden realisierten Anschlag mit militant-islamistisch/djihadistischen Hintergrund seit 9/11. Bis dahin wurden in rund zehn Jahren zahlreiche Anschlagsversuche in Deutschland von den Sicherheitskräften im Vorfeld vereitelt.

Handelt es sich bei dem Täter, dem 21-jährigen Kosovo-Albaner Arid U., um den Tätertyp, vor dem die Sicherheitskräfte gewarnt und mit dem sie gerechnet haben- einen fanatisierten Einzeltäter?
Ja, absolut: Bisher gab es die latente Bedrohung durch organisierte Gruppen. Zusammenschlüsse von "Homegrown-Terroristen" wären zu nennen, beispielsweise die sogenannte Sauerlandgruppe, radikalisierte Konvertiten, Terroristen mit Migrations-Hintergrund, die sich zu einem Djihad gegen Ungläubige berufen fühlen. Aber ein fanatisierter Einzeltäter wie Arid U., bei dem sich eine Blitzradikalisierung vollzogen hat, der zuvor nicht besonders auffällig war und dann einen Anschlag ausübt, ist etwas Neues. ich befürchte, leider wird Arid U. kein Einzelfall bleiben, mit diesem Täter-Typus werden wir wohl noch öfter zu tun bekommen.

Sie sprachen gerade im Zusammenhang mit dem Täter von Frankfurt von einer Blitzradikalisierung. Denken Sie, die anhaltende Islam-Debatte in Deutschland, die ja nicht immer sachlich geführt wird, wie die Kontroverse um Sarrazin oder die Äußerungen des neuen Bundesinnenministers, könnten solche Blitzradikalisierungen beschleunigen aufgrund der gefühlten oder tatsächlichen Diffamierung von Muslimen?
Ich denke eher nicht. Für potentielle Gefährder spielt die innenpolitische Debatte nur eine untergeordnete Rolle, da sie uns, die Einwohner des Westens, inklusive des Großteils der hier lebenden Muslime sowieso als Ungläubige betrachten. Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn die Islamdebatte in Deutschland sachlicher geführt wird.

Ihr Buch ist im zehnten Jahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erschienen. Es trägt den Untertitel" Strategien der Angreifer/Szenarien der Abwehr". Seit diesem Zeitraum befinden wir uns im sogenannten "War against Terror", im "Krieg gegen den Terror", welcher die Welt weder sicherer gemacht hat noch den djihadistischen Terrorismus besiegt hat. Was ist falsch gelaufen?

Wir wären in Europa und Deutschland gut beraten, Terrorgefahren als strategische Langzeitbedrohung zu begreifen. Bei dem djihadistischen Terror handelt es sich nicht um eine politisch motivierte, sondern um eine religiös motivierte Kriegserklärung gegen den internationalen Unglauben. Eine globale Herausforderung, von der auch China, Indien sowie große Teile der islamischen Welt betroffen sind. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, dass die meisten Opfer des djihadistischen Terrors weltweit Muslime sind. Eine kleine, radikale und gefährliche Gruppe von Menschen hat der gesamten Welt den Krieg erklärt. Wenn wir die Strategie der Angreifer nicht verstehen, können wir auch keine funktionierenden Szenarien der Abwehr erstellen.

Werden wir uns in 10 Jahren, also 20 Jahre nach 9/11 immer noch über diese terroristische Herausforderung unterhalten müssen?
Wissen Sie, ich habe dieses Buch geschrieben, um die Zivilbevölkerung in Deutschland zu sensibilisieren und wachzurütteln, denn im Jahr Zehn nach den 9/11-Anschlägen gibt es meiner Ansicht nach keinerlei Übereinstimmungen mehr zwischen der objektiven Bedrohungslage des Landes und dem subjektiven Bedrohungsgefühl seiner Bevölkerung. Die Strategie der Terroristen ist auf Jahre und Jahrzehnte angelegt. Die permanente Anschlagsdrohung gegen Deutschland und von Deutschen im Ausland ist Bestandteil dieser Strategie. Wir müssen lernen, mit der terroristischen Gefahr zu leben.

Vielen Dank, Herr Thamm.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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