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Wikipedia plus Lassalle: Wie sich Paul Mason die Zukunft des Post-Kapitalismus vorstellt

Genossenschaftlich und kollaborativ – der britische Journalist Paul Mason ist mit seinem Herzen bei Lassalle und Wikipedia und hat die Vorstellung von einem guten Post-Kapitalismus – das überrascht
von Vera Rosigkeit · 8. April 2016
Der britische Journalist sieht in den Informationstechnologien die Propheten des Postkapitalismus
Der britische Journalist sieht in den Informationstechnologien die Propheten des Postkapitalismus
Der Neoliberalismus ist kaputt. Seine Reparatur nimmt inzwischen verzweifelte Formen an. Dies zumindest behauptet der britische Journalist Paul Mason. In dieser Woche stellte er auf einer Veranstaltung der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ sein Buch „Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ in Berlin vor.

Der Kapitalismus im Wandel

Als jüngstes Beispiel des verzweifelten Versuchs, den Neoliberalismus zu retten, führt Mason die Idee an, dass die Zentralbank große Mengen Geld verschenken will, um damit den Konsum anzuregen – Helikoptergeld genannt. „Die Elite weiß nicht, was zu tun ist“, folgert er daraus.
 
Die zunehmende Ungleichheit, die Konzentration von Vermögen bei wenigen und die Prekarisierung der Mittelschicht beschreiben nach Mason die Krise der Demokratie. Er, der sich selbst einen radikalen Sozialdemokraten nennt, geht davon aus, dass sowohl diese als auch die geopolitische Krise, womit er die Flüchtlingsbewegung meint, die er als „größte Massenbewegung seit 1945“ bezeichnet, ihre Wurzeln im Ökonomischen hat. Aber diesen Zusammenhang „können die Neoliberalen nicht sehen“, erklärt Mason.
 
Sein Tipp: Lernen, dass der Markt, der scheinbar alles regelt, keine Antwort auf die Krise und der Neoliberalismus ähnlich wie der Keynesianismus nicht die ultimative Form des Kapitalismus ist. „Hat man einmal begriffen, dass es eine Zeit gab, in der der Kapitalismus nicht existierte, taucht ein Gedanke auf, der noch schockierender ist: Könnte es sein, dass es ihn auch nicht ewig geben wird?“

Wikipedia oder die Propheten des Postkapitalismus

Aber wie schon Marx analysierte, trägt der Kapitalismus seine Widersprüche in sich – das was ihn zerstört ebenso wie das was ihn erneuert. Diesen Widerspruch verkörpern nach Mason die Informationstechnologien. Sie untergraben die tragenden Säulen des Kapitalismus wie Preise, Eigentum und Arbeitseinkommen. Mason: „Märkte beruhen auf Knappheit, Information ist aber im Überfluss vorhanden.“ Und mit der fortschreitenden Digitalisierung wachse die Möglichkeit der Vervielfältigung zu verschwindend geringen Kosten, da sich der erforderliche Arbeitsaufwand deutlich verringere.
 
Andererseits sieht Mason in ihnen die „Propheten des Postkapitalismus“, indem sie eine „kollaborative Allmendeproduktion (Peer-Produktion)“ entwickeln: So zeige die Open-Source-Bewegung, dass in der Wirtschaft voller Informationen neue Formen des Besitzes und Umgangs mit Eigentum nicht nur möglich, sondern nötig sei. Als ein Beispiel für eine neue Produktionsweise sieht Mason die 2001 gegründete, kollaborativ geschriebene Wikipedia, in der rund 114.000 Personen aktiv seien. Mason: „Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft sein.“

Die Ökonomie der kostenlosen Dinge

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Mason im Haus der Kulturen der Welt, wo er seine Thesen vorträgt, einräumt, „dass sein Herz für Lassalle und den Plan von staatlich finanzierten Genossenschaften“ schlage. Denn schließlich sei es ein Verdienst der Arbeiterbewegung gewesen, öffentliche Bibliotheken und damit den kostenlosen Zugang zu Bildung für alle zu schaffen. Was noch fehle, sei ein „Modell für den Übergang“, sagt Mason und spricht von seiner Vorstellung von einem „guten Staat“ sowie die Verringerung der Arbeit auf ein Mindestmaß. Es versteht sich von selbst, dass ein Grundeinkommen ein Schlüssel zum Ganzen ist.

Und auf die Frage, wer dafür sorgen soll, dass diese Welt Wirklichkeit wird, antwortet der Brite, der die Zerschlagung der Gewerkschaften durch Maggie Thatcher miterleben musste, dass ein breites Bündnis aus Sozialdemokratie, Linken und erstarkenden Gewerkschaften das Potenzial in sich trage.

In der anschließenden Diskussion mit der Ökonomin Friederike Habermann (Blog Postwachstum), dem Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger (Autor von „Arbeitsfrei – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen) und dem Soziologen Hans-Jürgen Urban (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall) seien zwei Anmerkungen erwähnt. Die eine lautet: Für die Zeit des Übergangs müssten praktizierbare Alternativen geschaffen werden, da die Menschen nicht mehr an Utopien glaubten. Diese müssten nicht nur für Kulturwissenschaftler, sondern auch für Busfahrer und Friseuse lebbar sein. Die andere: Der Optimismus des Buches verdecke die Gefahr, dass die Krise auch autoritäre Strukturen zur Folge haben könnte.

 
Das Buch „Postkapitalismus - Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ erscheint am 11. April im Suhrkamp-Verlag
 
Naomi Klein schrieb darüber im „The Guardian“: „Ein unschlagbares Buch: ein Zündfunke für die Vorstellungskraft, mit Röntgenstrahlen durchleuchtet es die Art und Weise, wie wir heute leben. In dieser Hinsicht ist Mason ein würdiger Nachfolger von Marx.“
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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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