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Wiederaufbaufonds: Neue Hoffnung in Europa auf mehr Solidarität

Findet die EU einen gemeinsamen Weg aus der Corona-Krise? Darüber diskutierten deutsche und italienische Politiker*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen. Besonders die Pläne für einen European Recovery Fund (ERF) stimmten die Runde zuversichtlich.
von Lars Haferkamp · 26. Mai 2020
In Brüssel wehen die Flaggen der EU und ihrer Mitgliedstaaten.
In Brüssel wehen die Flaggen der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Durch Corona hat die EU die größte ökonomische und soziale Krise ihrer Geschichte zu bewältigen. Eine Krise, die zur Zerreißprobe zwischen dem Norden und dem Süden in der EU führen könnte. Das aktuell wieder recht komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und Italien steht dafür stellvertretend. Deshalb diskutierte die Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom am Montagabend die gegenwärtigen Herausforderungen für Europa in deutsch-italienischer Perspektive. Im Mittelpunkt stand dabei der European Recovery Fund (ERF), der europäische Wiederaufbaufonds, mit dem die EU auf die Coronakrise antworten will.

Alle Daumen hoch für den ERF

Kann er zur Grundlage eines europäischen Solidarpaktes werden? Und ist der gerade vorgestellte deutsch-französische Vorschlag geeignet, den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten gerecht zu werden? Gleich zu Beginn der Online-Debatte bat die Moderatorin die Diskutanten um ein Handzeichen, was sie vom ERF halten. Alle Daumen gingen hoch, sowohl auf deutscher als auch auf italienischer Seite.

Martin Schulz, der ehemalige Präsident des EU-Parlamentes und frühere Europabeauftragte der SPD, hatte lange für ein solches gemeinsames europäisches Projekt gekämpft. Er lobte die ERF-Pläne als „sehr positives Zeichen“. Der deutsch-französische Vorschlag sei auch deshalb so wichtig, weil beide Länder 50 Prozent der Wirtschaftskraft der Euro-Zone repräsentierten. Er „kommt spät, aber er kommt“. Leider reagiere Bundeskanzlerin Angela Merkel immer erst dann, wenn alles kurz vor dem Zusammenbruch stehe. Unter Anspielung auf ihr Agieren in der Euro-Krise sagte Schulz, „Merkel hat nach einer Schrecksekunde von 11 Jahren begriffen, dass man die Währungsunion nicht so wie bisher voranbringen kann“. Die Ermächtigung Brüssels, selbst Kredite aufzunehmen, sei ein wichtiger Schritt zur Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses.

Lob und Kritik für das Duo Berlin-Paris

Waltraud Schelkle, Professorin für Ökonomie an der London School of Economics and Political Science, wollte den Merkel-Macron-Vorschlag nicht ganz so positiv bewerten. Es sei ein Fehler von Berlin und Paris gewesen, den ursprünglich spanischen Plan als Zweiervorschlag zu präsentieren. „Es wäre besser gewesen, andere mit ins Boot zu holen“, so Schelkle. Da sei es kein Wunder, dass Schweden, Dänemark, die Niederlande und Österreich, die „sparsamen Vier“, gleich einen Gegenvorschlag präsentiert hätten. Schelkle lobte den ERF-Plan als „extrem kreativ und extrem flexibel“, weil er Zuschüsse und Kredite kombiniere und auch unterschiedliche Laufzeiten zulasse.

Die Kritik an Berlin und Paris wollte Martin Schulz so nicht stehen lassen. „Viele Länder rufen nach einer deutsch-französischen Initiative, wenn sie dann kommt, gibt es den Ruf nach Zurückhaltung.“ Die schwierige Frage sei doch: „Wie bekommen wir Führung in Europa durch Deutschland und Frankreich, ohne dass die anderen den Eindruck haben, die beiden wollten ihnen ihren Willen aufzwingen?“

Ein Zeichen der Solidarität

Roberto Tamborini, Professor für Ökonomie an der italienischen Università di Trento, nannte den ERF-Plan „sehr innovativ“. Er sei auch „ein Zeichen der Solidarität“ zwischen Nord und Süd in der EU. Tamborini sprach von einem „ersten Schritt zur Vervollständigung der Währungsunion“, die bisher leider weder einen gemeinsamen Haushalt noch eine gemeinsame Fiskalpolitik habe. Nun komme es auf die Details und die Gesamtsumme des ERF an.

Das Programm solle sich an alle Staaten der EU wenden, denn alle seien von Corona betrroffen, betonte Andrea Boitani, Professor für Ökonomie an der Università Cattolica Mailand. Wichtig sei, dass es sich um Garantien der EU, nicht einzelner Staaten handele. Profitieren würde nicht nur der Süden. Boitani wies darauf hin, dass etwa Schweden die höchste Pro-Kopf-Ansteckung mit Corona in der EU habe. Für ihn ist ganz entscheidend, dass der ERF an Ausgabenprogramme der EU gekoppelt sei und nicht einfach Geld weitergegeben werde, mit dem jeder Staat dann machen könne, was er wolle.

Großes Erschrecken über das Image der Deutschen

Damit sprach Boitani indirekt ein Vorurteil an, dass in Deutschland oft über Italien herrscht. In der Bundesrepublik habe es, so Martin Schulz, „ein großes Erschrecken“ gegeben über das Bild der Deutschen in Italien als herzlos und unsolidarisch in der Coronakrise. „Deutschland will nicht unsolidarisch sein“, betonte Schulz. Das negative Bild der Deutschen im Süden habe auch einen „psychologischen Effekt“ gehabt, der die Pläne für den ERF in Berlin befördert habe.

Für Pier Carlo Padoan, Mitglied des italienischen Parlaments und ehemaliger Wirtschafts- und Finanzminister Italiens von 2014 bis 2018, hat der deutsch-französische Vorschlag in Italien ein „sehr positives Echo“ gefunden. Er sieht die Chance, „Vorurteile zu überwinden“. Den „sparsamen Vier“ warf er dagegen eine „gewisse Ignoranz“ gegenüber der Lage im Süden vor. „Die Mehrheit der Europäer denkt nicht so“ ist Padoan überzeugt. Kritik übte er auch an der eigenen Regierung: Rom solle nun die Mittel aus dem ESM-Programm nutzen, etwa für den Ausbau des Gesundheitswesens. Bisher zeigt sich Italien an der Stelle ablehnend.

Die Bürger*innen Europas nicht überfordern

Europa habe bereits in der Euro-Krise mehr Solidarität gezeigt, als von den Bürger*innen wahrgenommen, betonte Waltraud Schelkle im Laufe der DIskussion. Sie warnte davor, die Menschen nicht zu überfordern. So solle man „mit Euro-Bonds vorsichtig sein“ und nicht „Leute verschrecken“ oder „schlafende Hunde wecken“, etwa die EU-Skeptiker*innen und Nationalist*innen. Niemand solle „die Toleranz der Bevölkerung überstrapazieren“, das gelte für Italien wie für Deutschland. Es müsse jetzt darum gehen, Akzeptanz für den ERF zu schaffen und nicht, „das ganz Große einzufordern“, wie etwa eine große Föderalisierung Europas als Folge der Corona-Krise.

Andrea Boitani, Professor für Ökonomie aus Mailand, rief ebenfalls dazu auf, jetzt die Schlachten von heute und nicht von morgen zu kämpfen. Wichtig sei nun, dass der ERF auch verwirklicht und nicht von den EU-Staaten verwässert werde. Was von den Plänen der Politik Realität wird, darüber entscheidet der nächste EU-Gipfel vom 18. bis 19. Juni.

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