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Wie Südkorea unter Corona-Bedingungen ein neues Parlament wählt

Südkorea gilt weltweit als Vorreiter bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Nun stehen – unter erschwerten Bedingungen – Parlamentswahlen an und die Partei von Präsident Moon könnte vom guten Krisenmanagement profitieren.
von Henning Effner · 14. April 2020
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Südkorea gilt weltweit als erfolgreiches Beispiel dafür, wie man die Coronavirus-Epidemie effektiv bekämpft. Die Anzahl der täglichen Neuinfektionen ist in den vergangenen Wochen kontinuierlich gesunken und liegt seit einigen Tagen bei unter 50. Es scheint, dass das Land die Epidemie weitgehend in den Griff bekommen hat. Nun steht das Land vor Parlamentswahlen: Am 15.April wird gewählt. Im Rahmen des sogenannten early voting konnten die Wähler*innen allerdings auch schon am 10. und 11. April in mehr als 3.500 Wahllokalen ihre Stimme abgeben. Mehr als elf Millionen Menschen haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, was auf eine hohe Wahlbeteiligung hindeutet.

Atemschutzmasken und Einweghandschuhe

Der Prozess der Stimmabgabe, der im Rahmen des early voting weitgehend reibungslos verlief, ist wegen der Corona-Epidemie streng reguliert: Die Wähler*innen müssen in den Wahllokalen Abstandsregeln einhalten, Atemschutzmasken tragen, die Hände desinfizieren und vor der Stimmabgabe Einweg-Plastikhandschuhe anziehen. Außerdem finden vor den Wahllokalen Fiebermessungen statt. Wird eine erhöhte Temperatur gemessen, werden die Wähler*innen zu einer speziellen Kabine geleitet, die nach der Stimmabgabe desinfiziert wird.

Schwieriger gestaltet sich die Stimmabgabe für Personen, die sich derzeit wegen einer möglichen Infektion in Selbst-Quarantäne befinden (z.B. aus dem Ausland zurückkehrende Koreaner*innen). Um Ansteckungen zu vermeiden, wurden für diese Wähler*innen besondere Vorkehrungen getroffen. Sie dürfen die Quarantäne kurzzeitig unterbrechen und können ihre Stimme innerhalb eines festgelegten Zeitfensters in speziellen Wahlkabinen abgeben, die fortlaufend desinfiziert werden. Keine Möglichkeit, an den Wahlen teilzunehmen, gibt es allerdings für die meisten der im Ausland lebenden Koreaner*innen, da in vielen Ländern Ausgangsbeschränkungen gelten und Botschaften und Konsulate geschlossen sind.

Wahlkampf in neuen Formen

Wahlkampagnen inmitten einer Pandemie erfordern kreative Formate, um die Wähler*innen zu erreichen. Dem Einfallsreichtum sind dabei kaum Grenzen gesetzt. So wurden Kandidat*innen auf Lastwagen ebenso gesehen wie auf E-Scootern oder gar Pferden. Wahlveranstaltungen finden – wenn überhaupt – nur in Kleingruppen statt oder beschränken sich auf das Verteilen von Flyern. Besonders im Trend unter den politischen Wettbewerber*innen ist es, sich beim Desinfizieren von öffentlichen Einrichtungen und Spielplätzen zu zeigen – freilich mit Atemschutzmaske, und so haben nicht wenige Wähler*innen Probleme, die Gesichter der Kandidat*innen zuzuordnen. Der Haupteil des Wahlkampfes findet online statt, auf Facebook, Instagram und Kakao-Talk. Fast alle Kandidat*innen haben einen eigenen YouTube-Kanal.

Im Mittelpunkt des Wahlkampfes steht das Krisenmanagement der Regierung. Angesichts der Erfolge bei der Eindämmung des Virus hofft die Regierung, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie in Südkorea nicht ganz so gravierend sein werden wie in Europa oder den USA. Die aktuellen Prognosen für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr bewegen sich zwischen -2,3 und +0,1 Prozent. Die Regierung hat mittlerweile mehrere Hilfspakete in Höhe von mehr als 80 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Epidemie abzufedern. Als wichtiges Krisengremium hat sich dabei der von Präsident Moon etablierte Emergency Economic Council entwickelt, in dem neben der Regierung auch Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften vertreten sind.

Perspektiven für die Parlamentswahlen

Angesichts der insgesamt erfolgreichen Krisenbewältigung haben sich die Perspektiven für die Demokratische Partei von Präsident Moon Jae-In in den vergangenen Wochen erheblich verbessert. Ende Februar sah die Lage noch ganz anders aus: Da lag Südkorea nach China auf Platz zwei der am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder. Die Anzahl der Infektionen war innerhalb kurzer Zeit hochgeschnellt, nachdem es in der Millionenstadt Daegu zu einer Masseninfektion gekommen war. Die konservative Opposition hatte die Regierung mit massiver Kritik unter Druck gesetzt und ihr schwere Versäumnisse vorgeworfen, u.a. weil sie keinen generellen Einreisestopp für Reisende aus China verhängt hatte. Mittlerweile ist diese Kritik weitgehend verstummt. Südkorea liegt mit 10.500 Infektionen heute weltweit nur noch auf Platz 19 und wird allseits für seine erfolgreiche Krisenstrategie gelobt.

Das effektive Krisenmanagement schlägt sich auch in den aktuellen Meinungsumfragen nieder. Die Zustimmungswerte für Präsident Moon, der derzeit die Hälfte seiner fünfjährigen Amtszeit absolviert hat, sind auf 55 Prozent gestiegen, der höchste Zustimmungswert seit November 2018. Auch die Demokratische Partei befindet sich im Aufwind und hofft, vom erfolgreichen Krisenmanagement der Regierung zu profitieren. In Umfragen liegt sie deutlich vor der konservativen Opposition. Wie stark sich die aktuelle Stimmung auf den Wahlausgang und die zukünfige Sitzverteilung im Parlament auswirken wird, ist jedoch schwer vorherzusagen, da die meisten Parlamentssitze nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden.

Ob es der Demokratischen Partei gelingen wird, die Anzahl ihrer Direktmandate zu erhöhen, bleibt abzuwarten. Eines ist allerdings jetzt schon sicher: Diese Parlamentswahl wird in die Geschichte eingehen. Und zwar als erste, bei der nicht traditionelle Wahlkampfthemen wie Korruption oder die Beziehungen zu Nordkorea im Zentrum des Wahlkampfes standen, sondern das Krisenmanagement der Regierung bei der Bekämpfung einer Epidemie.

Autor*in
Henning Effner

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul, Süd-Korea.

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