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Wie sich Europas Bürger die Zukunft der EU vorstellen

Ob in Vereinen, Initiativen oder an Universitäten: Auch abseits von Parteien engagieren sich viele Menschen für Europa. Ihre Vorstellungen von der Zukunft der Europäischen Union sind unterschiedlich. Letztlich eint sie aber eines.
von Jonas Jordan · 1. Januar 2019
Die EU muss sich verändern, um wieder interessant für die Bürgerinnen und Bürger zu werden. Vorschläge gibt es dafür viele.
Die EU muss sich verändern, um wieder interessant für die Bürgerinnen und Bürger zu werden. Vorschläge gibt es dafür viele.

Am 10. November lag ein Hauch von Revolution über Europa. An diesem Samstag riefen Schauspieler, Autoren und Aktivisten an mehr als 100 Orten die „Europäische Republik“ aus. „Der Tag ist gekommen, dass sich die kulturelle Vielfalt Europas endlich in politischer Einheit entfaltet. Der Europäische Rat ist abgesetzt. Das Europäische Parlament hat gesetzgeberische Gewalt. Es wählt eine europäische Regierung, die dem Wohle aller europäischen Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen verpflichtet ist. Es lebe die Europäische Republik!“, erklärte etwa der Schauspieler Christian Dieterle per Megaphon vom Balkon des Roten Rathauses in Berlin. Der Text ist Teil eines „Europäischen Manifests“ das von der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, dem Schriftsteller Robert Menasse und dem Theatermacher Milo Rau verfasst wurde. Von ihnen stammt die Idee zum „European Balcony Project“ und der Ausrufung der Europäischen Republik 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs.

Mehr politischer Wettbewerb gewünscht

„Wir brauchen ein ganz anderes Europa, eine andere parlamentarische Demokratie“, fordert Guérot. Bereits 2016 hat die Politikwissenschaftlerin ihre Utopie einer europäischen Republik in einem Buch ausgebreitet: „Vernetzt die europäischen Regionen! Schafft ein gemeinsames republikanisches Dach! Wählt einen europäischen Parlamentarismus, der dem Grundsatz der Gewaltenteilung genügt!“, fordert sie darin.

Auch Linn Selle wünscht sich „eine echte europäische Demokratie“. Damit verbindet die Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD) allerdings keine europäische Republik, „sondern schlicht mehr politischen Wettbewerb auf allen Ebenen“. Selle meint damit etwa mehr Transparenz der Europäischen Institutionen im Gesetzgebungsprozess, aber auch Fernseh-Duelle der europä­ischen Spitzenkandidaten für die Europa­wahl im kommenden Jahr.

Europäische Union auf gutem Fundament

Die Europä­ische Union sieht Linn Selle trotz aller Probleme auf einem guten Fundament stehen. Das beweise ausgerechnet der Brexit. „Die EU 27 schaffen den Schulterschluss, wenn sie es müssen“, kommentiert Selle die Einigung der EU-Staaten mit Großbritannien aus dem November. Sorgen macht sich die EBD-Präsidentin um die Einstellung zu Europa in Deutschland. „Ich habe den Eindruck, dass derzeit vor allem europapolitische Abwehr­diskussionen geführt werden“, sagt Selle. Dabei seien 80 Prozent der Deutschen proeuropäisch eingestellt. „Wo bleibt das mutige Vorwärtsdenken?“

„So wie die Demokratie Demokratinnen und Demokraten braucht, braucht ­Europa Europäerinnen und Europäer“, ist Gesine Weber überzeugt. Für sie ist das der Grund, sich ehrenamtlich als Chefredakteurin von „treffpunkteuropa.de“ zu engagieren. Das Online-Magazin der „Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland“ (JEF) informiert in sieben Sprachen über die Geschehnisse in der EU.

„Für mich ist Europa das Gefühl, in Paris genauso zu Hause zu sein wie in meinem Heimatdorf im Westerwald, weil ich mich als Europäerin sehe und nicht als Deutsche“, sagt Gesine Weber. Die Menschen in Europa teilten eine gemeinsame Geschichte und viele gemeinsame Überzeugungen. „Deshalb bin ich überzeugt, dass sie auch gemeinsam ihre Zukunft gestalten sollten.“ ­Dafür müsse die EU künftig eine größere weltpolitische Rolle spielen, meint Weber – „vor allem durch eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik“.

Die Demokratisierung der EU muss auf die Agenda

„Manchmal vergessen wir, dass die Europäische Union nicht nur für Reisefreiheit und Erasmus steht, sondern auch für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, sagt Patrizia Albrecht von „The European Moment“, einer Bewegung, die sich als Reaktion auf die Brexit-Entscheidung in Großbritannien gegründet hat. „Europäische Probleme bedürfen europäischer Lösungen“, sind die Aktivisten überzeugt. „Ich setze mich für ein demokratisches und vor allem transparentes Europa ein. Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger“, sagt Patrizia Albrecht. Sie ist überzeugt: Vor allem die Demokratisierung der EU müsse wieder „auf die Agenda rücken“.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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