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Wie sich die Stimmung gegenüber Geflüchteten in Griechenland verändert hat

Seit 2015 hat sich die Stimmung der einheimischen Bevölkerung gegenüber Geflüchteten in Griechenland deutlich verändert. Speziell auf den ägäischen Inseln begegnen die Menschen Geflüchteten zunehmend mit Ablehnung und Hass.
von Monika Berg · 16. März 2020
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Während die Mehrheit der Griech*innen sich 2015 und 2016 solidarisch mit den Geflüchteten zeigte und praktische Hilfe leistete, ist nun das Gegenteil eingetreten: Die Menschen begegnen Geflüchteten nun mit Ablehnung, teilweise offenem Hass, nicht selten mit verbaler und physischer Gewalt.

Erschreckende Szenen auf Lesbos und Chios

Opfer dieses Stimmungswandels gegenüber Geflüchteten werden auch jene, die nach wie vor helfen wollen oder über die Situation vor Ort berichten. Vor allem auf den Inseln Lesbos und Chios haben sich in den vergangenen Wochen erschreckende Szenen abgespielt. Geflüchtete sind unerwünscht, es kommt zu Übergriffen, die oft von rechtsextremen Provokateur*innen und selbsternannten Hüter*innen von Recht und Ordnung angezettelt und angeheizt werden. Die Polizei steht greift meist nicht ein.

Die Gründe für diesen Stimmungswandel sind vielfältig. Die landesweite Welle der Hilfsbereitschaft nahm ab, als die Grenzen auf dem Balkan geschlossen wurden, das Relocation-Verfahren sich als nicht funktionsfähig erwies und es sich abzeichnete, dass viele der Geflüchteten auf lange Sicht bleiben würden. Den mit einer Integration verbundenen Herausforderungen wollte man sich jedoch nie stellen – weder die Gesellschaft noch die Politik. Einige Gemeinden zeigten Eigeninitiative, nahmen Geflüchtete auf und setzten erfolgreich Maßnahmen zu deren schrittweiser Eingliederung in die Gesellschaft um.

Integrationsbemühungen einzelner Kommunen

Die Mehrzahl der Kommunen verweigerte sich jedoch einem solchen Schritt, da derlei Pläne oft auf erbitterten Widerstand stießen und nicht selten von rechtsextremen Gruppierungen zur politischen Stimmungsmache missbraucht wurden. Integrationsbemühungen einzelner Gemeinden beruhten meist auf dem Engagement ihrer Bürgermeister*innen. Eine nationalen Integrationsstrategie, die den Gemeinden auch offiziell eine wichtige Rolle zuschreiben sollte, wurde 2018 von der SYRIZA-Regierung zwar auf den Weg gebracht, verschwand aber in der Schublade.

Der EU-Türkei-Deal, der ab März 2016 die Rückführung derjenigen Geflüchteten in die Türkei vorsah, die keinen Anspruch auf Asyl haben, trug zu einer Verschärfung der Lage auf den ostägäischen Inseln bei, obwohl mit dem Abkommen eigentlich eine Entlastung der Inseln angestrebt worden war. Der Deal hat jedoch aus unterschiedlichen Gründen, die sowohl rechtlicher als auch politischer Natur sind, nie richtig funktioniert. Rückführungen haben nur in sehr geringem Umfang stattgefunden. Die Situation in den Hotspots wurde für die Geflüchteten immer unerträglicher und menschenunwürdiger. Die Inselbewohner*innen wiederum fürchteten vor allem um Einbußen aus ihrer Haupteinnahmequelle, dem Tourismus. Die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung vor Ort waren nicht mehr in der Lage, die Herausforderung allein zu stemmen. Die Menschen fühlten sich sowohl von der Regierung in Athen als auch von der Europäischen Union im Stich gelassen. Allzu oft nutzten rechtsextreme Bewegungen diese Frustration aus und erklärten sich zum Sprachrohr der Unzufriedenen.

Zwei Drittel sehen Geflüchtete als Gefahr

Laut einer Umfrage des Instituts KAPA Research von Ende Februar betrachten mittlerweile zwei Drittel der auf den ostägäischen Inseln lebenden Menschen Migrant*innen und Geflüchtete als Gefahr für das Land, 90 Prozent der Befragten sehen negative Auswirkungen für diese Inseln. Die Vorbehalte gegenüber Migrant*innen mit längerfristiger Bleibeperspektive im Land sind noch größer: Im Dezember 2019 waren laut einer landesweiten Umfrage des Think Tank DIANESOIS 92 Prozent der Ansicht, dass die Zahl der Migrant*innen in Griechenland unverhältnismäßig hoch sei. Drei Viertel vertraten die Meinung, dass die Anzahl der hier lebenden Migrant*innen die Kriminalität erhöhe.

Das derzeitige Gefühl der Bedrohung durch Provokationen der Türkei an der Grenze im Norden, gepaart mit einer zunehmend fremdenfeindlichen und rassistischen Rhetorik, die mittlerweile auch von Regierungsmitgliedern praktiziert, in den Medien reproduziert und in den sozialen Netzwerken verbreitet wird, schaffen eine explosive Mischung, die außer Kontrolle zu geraten droht.

Humanität und Menschenwürde sind bedroht

Das freie Schalten und Walten selbsternannter Grenzschützer*innen und das Stillschweigen der Politik angesichts rassistisch motivierter Übergriffe auf Geflüchtete und Helfer*innen drohen einen Keil in die griechische Gesellschaft zu treiben. Mit der vorübergehenden Aussetzung des Asylrechts und der Einstellung finanzieller Hilfeleistungen für anerkannte Asylbewerber*innen versucht Ministerpräsident Mitsotakis, dem rechten Klientel seiner Partei entgegenzukommen und seine Popularitätswerte zu steigern. Opfer dieser Strategie sind die Schutzsuchenden an Griechenlands Grenzen. In Gefahr sind aber auch Humanität und Menschenwürde und der soziale Zusammenhalt einer Gesellschaft, die sich gerade erst von den Folgen einer langen Krise erholt.

Autor*in
Monika Berg

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen.

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