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Wie Sanna Marin zur jüngsten finnischen Ministerpräsidentin wurde

Als Nachfolgerin von Antti Rinne wurde Sanna Marin am Dienstag Finnlands jüngste Ministerpräsidentin. Was als Streit über den Tarifvertrag für 700 Paketsortierer beim staatseigenen Versanddienstleister Posti begann, endete mit dem Rücktritt des finnischen Ministerpräsidenten und seiner Regierung. Was ist geschehen?
von Heikki Jokinen · 12. Dezember 2019
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Die Wurzeln der aktuellen Ereignisse reichen bis zum Juni 2017 zurück. Damals verabschiedeten Juha Sipilä, der damalige Ministerpräsident von der Zentrumspartei, und seine rechte Regierung ein neues Gesetz. Ziel war es, die Postverteilung für den privaten Wettbewerb zu öffnen.

Wie der Poststreit begann

Posti, das staatseigene Postdienstleistungsunternehmen, gründete 2017 eine neue Tochtergesellschaft namens Posti Palvelut für die frühmorgendliche Zustellung von Zeitungen. Etwa 2 300 Zeitungszusteller wurden in diese Tochtergesellschaft versetzt. Im November 2017 wurde der Tarifvertrag Posti Palveluts mit der Finnischen Post- und Logistikgewerkschaft (PAU) gekündigt. Für die Angestellten wurde ein neuer Tarifvertrag mit der Mediengewerkschaft abgeschlossen, der niedrigere Einkommen vorsah – eine Verschiebetaktik, die „contract shopping“ genannt wird.

Mit dem Regierungswechsel vom Juni 2019 änderte sich die Stimmung: Der neue sozialdemokratische Ministerpräsident Antti Rinne, der vorher Chef der Pro-Gewerkschaft mit 120 000 Mitgliedern war, sah die Rolle, die die Staatsunternehmen bei der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen spielten, kritisch. Posti aber setzte die Politik des „contract shopping“ fort. Im September 2019 verschob das Unternehmen weitere 700 Mitarbeiter der Paketsortierung in ihre Tochtergesellschaft und damit auch in den Medientarifvertrag mit geringeren Einkommen. Die PAU verurteilte dies und rief für Posti zu einem ersten Streik gegen die Lohnkürzungen auf.

Zunächst konnte Sirpa Paatero, die sozialdemokratische Ministerin für Kommunalregierungen und Eigentumssteuerung, einen Waffenstillstand vereinbaren und die Gewerkschaft gemeinsam mit der Arbeitgebervereinigung Palta an den Verhandlungstisch bringen. Dann allerdings wurde die Sache kompliziert: Nachdem Posti seine Angestellten zu Posti Palvelut verlegt hatte, wurden deren Arbeitsverhältnisse durch den Tarifvertrag für Angestellte im Medienbereich geregelt. Aus diesem Grund konnte die neue Tochtergesellschaft Posti Palvelut bei den Verhandlungen nicht mehr durch Palta vertreten werden. 

Stattdessen wurde das Unternehmen nun durch die Arbeitgebervereinigung der Medien repräsentiert. Diese wiederum erklärte, mit der PAU nicht über die Angestellten von Posti Palvelut verhandeln zu wollen. Nach dem neuen Tarifvertrag akzeptierte Palta die Gewerkschaft nicht als zuständige Vertretung für Medienangestellte. Und da Posti sich immer noch weigerte, die Entscheidung zur Weitergabe ihrer Paketsortierer an ihre Tochtergesellschaft zu überdenken, war keine Organisation dazu bereit, mit der PAU zu verhandeln. Also blieb der Gewerkschaft nichts anderes übrig, als am 11. November einen Streik auszurufen. Zwei Wochen später umfasste der Ausstand 10 000 Posti-Angestellte, was dazu führte, dass die Postverteilung im gesamten Land zum Erliegen kam.

Solidarität durch andere Gewerkschaften

Aus Angst vor einer stärkeren Verbreitung des „contract shopping“ durch die Arbeitgeber waren mehrere Gewerkschaften bereit, sich mit dem Kampf der PAU solidarisch zu erklären. Die PAU arbeitet eng mit anderen Transportgewerkschaften zusammen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen begannen diese mit Solidaritätsstreiks, die Finnlands wirtschaftliche Achillesferse trafen: die Seeschifffahrt, den Frachtverkehr und den Lufttransport. So wurden der Flugverkehr im Land und ein Großteil der öffentlichen Busse in Helsinki durch den Streik für einen ganzen Tag lahmgelegt.

Darüber hinaus verboten viele Gewerkschaften ihren Mitgliedern, Arbeiten zu erledigen, die mit Posti in Zusammenhang standen. JHL, die Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst und das Wohlfahrtssystem, rief zu einem zweitägigen Streik auf. Dadurch wurden die Güterbahnhöfe und ihre Verbindungen geschlossen. Die Dienstleistungsgewerkschaft PAM gab ab dem 25. November in 750 Postläden keine Pakete und Briefe mehr aus. Und die finnische Elektrikergewerkschaft unterstützte den PAU-Streik, indem ihre Mitglieder in den Posti-Sortierzentren die Arbeit niederlegten.

Diese massiven Gewerkschaftsaktivitäten brachten die Regierung in eine schwierige Lage: Sowohl Sirpa Paatero als auch Antti Rinne erklärten öffentlich, sie seien gegen das „contract shopping“ bei Posti. Der staatseigene Konzern aber weigerte sich, seine Entscheidung zurückzunehmen, und erklärte, der Fall sei abgeschlossen.

Ministerin tritt zurück

Um den Konflikt zu lösen und einen Kompromiss zu finden, berief Ministerin Paatero eine Arbeitsgruppe aus vier erfahrenen Arbeitsmarktexperten ein. Deren Vorschläge aber führten zu nichts. Die Streiks eskalierten, die Lage wurde immer chaotischer. Schließlich wurde am 27. November eine neue Vereinbarung mit Posti getroffen. Die 700 Angestellten in der Paketsortierung werden dem PAU-Tarifvertrag unterstellt. Die Gewerkschaft bekommt also, was sie verlangt hatte.

Im Parlament wurde die Regierung von der Opposition angegriffen. Diese forderte klare Antworten darauf, was die Regierung getan habe, um den Konflikt zu lösen. Ministerin Paatero erklärte dem Parlament, sie habe gegenüber dem Posti-Management wiederholt erklärt, seine Handlungen seien inakzeptabel gewesen. Der Vorstandsvorsitzende von Posti sagte allerdings, die Regierung sei bereits zu einem frühen Zeitpunkt über die Entscheidung informiert worden, die Posti-Arbeitnehmer in einen anderen Tarifvertrag zu verschieben. Die Ministerin habe dies akzeptiert.

Die Presse veröffentlichte daraufhin Dokumente, die nahelegen, dass Paatero tatsächlich früher von Postis Entscheidung gewusst hatte, als sie öffentlich zugegeben hatte, und dass sie keine klaren Schritte gegen diese Entscheidung unternommen hatte. Daraufhin legte Paatero am 29. November ihr Amt nieder.

Vertrauensentzg durch Koalitionspartner

Die öffentliche Aufmerksamkeit richtete sich nun auf Ministerpräsident Antti Rinne. Dieser hatte wiederholt erklärt, er und seine Sozialdemokratische Partei seien strikt dagegen, dass bei Posti die Arbeitnehmerrechte geschwächt werden. Darüber hinaus habe er seiner Ministerin aufgetragen, entsprechend zu handeln.

Allerdings legen weitere geleakte Dokumente nahe, dass Rinne bereits im August über Postis Pläne informiert war. Dies führte zu Fragen über die Diskrepanz zwischen seinen öffentlich vertretenen Positionen und seiner internen Haltung zur Entscheidung des Posti-Managements. Die Oppositionsparteien sahen diese neuen Enthüllungen als Beweis dafür, dass der Ministerpräsident das Parlament zu diesem Thema getäuscht habe. Auf jeden Fall waren seine Aussagen unklar, und dies bleibt in der Politik selten ohne Folgen.

In diesem Zustand der Verwirrung verkündete die Chefin der Zentrumspartei und Wirtschaftsministerin Katri Kulmuni am 2. Dezember, ihre Partei habe das Vertrauen in den Ministerpräsidenten verloren. Allerdings sei sie bereit, die Koalitionsregierung weiterhin zu unterstützen.

Schwierige Zeiten für Marin

Obwohl die anderen Koalitionsparteien Rinne das Vertrauen aussprachen, trat der Ministerpräsident am folgenden Tag zurück – zwei Stunden vor der Debatte über ein Misstrauensvotum, das von der Opposition beantragt worden war. Er stand nur sechs Monate an der Spitze der Regierung. Mit seinem Rücktritt beabsichtigte Rinne, die bestehende Koalitionsregierung an der Macht zu halten, um die Umsetzung ihres progressiven Programms zu retten. Nachfolgerin im Amt wurde Sanna Marin, die als  stellvertretende Parteivorsitzende bereits den Wahlkampf geführt hatte und in Rinnes Kabinett Ministerin für Transport und Kommunikation gewesen war. 

Über den Grund, warum die Zentrumspartei Antti Rinne zum Rücktritt zwang, gibt es unterschiedliche Theorien: Eine Erklärung berücksichtigt den Schock, den die Partei bei einer Umfrage eine Woche zuvor erlitten hatte: Zustimmungsraten von nur 11,7 Prozent bedeuten, dass die Partei mit den geringsten Zustimmungswerten in ihrer 102-jährigen Geschichte zu kämpfen hat. Viele Unterstützer hat sie an ihren größten Gegner verloren, die rechtsextreme Partei „Die Finnen“. Diese konnte die chaotische Situation rund um die Posti-Streiks erfolgreich für ihre Propaganda ausschlachten. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass der starke Unternehmerflügel unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Juha Sipilä mit dem linkslastigen Programm der Regierung nicht glücklich war und Rinne wegen dessen Gewerkschaftshintergrund loswerden wollte.

Was auch immer die Gründe der Zentrumspartei waren, Antti Rinne zum Rücktritt zu bewegen: Auf jeden Fall wird diese Aktion das Vertrauen zwischen den Partnern der Regierungskoalition beschädigen. Der neuen finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin und der Regierungskoalition stehen schwierige Zeiten bevor.

Dieser Artikel erschien zunächst im ipg-Journal.

Autor*in
Heikki Jokinen

Heikki Jokinen ist freiberuflicher Journalist mit Sitz in Helsinki und Herausgeber der „Trade Union News from Finland“.

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