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Wie Putin seine Macht ausbaut und die Duma weiter schwächt

Putins Partei „Einiges Russland“ eroberte bei den Parlamentswahlen am Sonntag eine 2/3-Mehrheit der Sitze. In der Duma gibt es de facto keine Opposition mehr. Die Fraktionen streiten nur darum, „wer Putin am stärksten liebt“, analysiert ein russischer Experte.
von Dmitri Stratievski · 21. September 2016
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Russland wählt und am Ende gewinnt? Putin. Am 18. September waren 109 Millionen russische Bürger zur Wahl der Staatsduma aufgerufen. Zum ersten Mal fanden die Wahlen auch auf der annektierten Halbinsel Krim statt.

Putins „Einiges Russland“ schafft 2/3-Mehrheit

Nach dem vorläufigen Wahlergebnis, bekanntgegeben am 19. September, erzielte die Putin-Partei „Einiges Russland“ eine Zweidrittelmehrheit. Sie kam auf über 54,3 Prozent der Stimmen und erhielt nach dem Mehrheitswahlrecht 76 Prozent aller Sitze. Es folgen die Kommunisten mit 13,5 Prozent, die rechtspopulistische LDPR mit 13,2 Prozent und „Gerechtes Russland“ mit 6,2 Prozent.

Somit werden in der neuen Duma ausschließlich die Parteien aus der vergangenen Legislaturperiode vertreten. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 48%. Kein einziger Vertreter von Jabloko, PARNAS oder der Aufstiegspartei gewann ein Direktmandat. Putin bezeichnete das Wahlergebnis als eine „Reaktion“ der Bevölkerung auf den „Druck von außen und auf die Bedrohungen und Sanktionen“.

Alle Fraktionen sind gehorsame Partner Putins

Kirill Martynow, Redakteur für Politik der „Nowaja gazeta“, stellt bitter fest: „Die Parteien in der Duma werden nur bei einer Frage miteinander konkurrieren: wer Putin am stärksten liebt“. Einiges Russland hat ihre Dominanz weiter ausgebaut. Die restlichen drei Parteien mutierten längst zu den gehorsamen Partnern des Kremls. Sie sind quasioppositionell und haben keine eigene Agenda in der Außen- und Innenpolitik.

Die Kommunisten unter Gennadij Sjuganow können keine sozialistische Alternative anbieten und sammeln ihre Stimmen lediglich bei den Sowjetnostalgikern. Die Populisten der LDPR unter Wladimir Schirinowskij genießen die Unterstützung der Nationalisten und der Putin-treuen Wähler, die nicht für die Machtpartei votieren möchten. „Gerechtes Russland“ von Sergej Mironow verpasste die Möglichkeit, den Regierenden aus linker Perspektive zu opponieren, und spielt jetzt einen Juniorpartner des Kremls. Bekannte Oppositionelle wie Oksana Dmitrijewa und Gennadij Gudkow haben diese Partei verlassen.

Bedeutung des Parlamentes sinkt weiter

Die Fraktionen haben sich zwar erneuert, das spricht aber nicht für die Wiederbelebung des russischen Parlamentarismus. Selbst die neuen reformorientierten Politiker aus der russischen Provinz, die während der Vorwahlen gute Listenplätze eroberten und ihre Parteien im Inneren verändern möchten, werden das wahrscheinlich nicht schaffen. Sie werden mithilfe des Fraktionszwanges und durch die vorhandenen Seilschaften in die alten Strukturen integriert. Die Bedeutung des russischen Parlaments wird künftig weiter sinken.   

Das russische Parlament wird im Fünf-Jahres-Rhythmus gewählt. Im politischen Alltag sind die Volksvertreter in ihrer Entscheidungsfreiheit stark eingeschränkt und vom Kreml sowie von den Oligarchen abhängig. In der jüngsten Vergangenheit erfuhr Wladimir Putin immer eine uneingeschränkte Unterstützung seines Parlaments. So stimmten 2014 alle Abgeordnete bis auf eine Person unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit für die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Die Unstimmigkeiten mit dem Präsidialamt sind meistens wirtschaftlicher oder administrativer Art. Sie werden nicht im Plenarsaal oder in Ausschüssen debattiert, sondern hinter verschlossenen Türen über verschiedene Netzwerke gelöst.

Die Opposition schafft es nicht

Die Zahl der zur Wahl zugelassenen Parteien ist erheblich gestiegen, von sieben auf 14. Auch bei den etablierten Parteien waren viele neue Gesichter zu sehen. Neben den Kremltreuen gingen zwei Oppositionskräfte ins Wahlrennen, die es beide nicht in die Duma schafften: die sozialliberale Jabloko und die liberalkonservative PARNAS. Die beiden Parteien einigten sich nicht auf eine gemeinsame Liste. Eine weitere Partei, die Aufstiegspartei, zu deren Spitze mehrheitlich die Reformer der Jelzin-Zeit zählen, kritisierte den Wirtschaftskurs der Regierung scharf, gab zugleich kaum Kommentare zur Politik Putins. Insgesamt wurden 2.700 Kandidaten aufgestellt, davon über 800 Parteilose.    

Wie in der Vergangenheit setzten die Kandidaten im Wahlkampf auf großformatige Strassenwerbung. Darüber hinaus veranstalteten die Parteien besucherreiche Kundgebungen unter Einbeziehung von prominenten Schauspielern und Sängern. Die TV-Duelle im nationalen und regionalen Staatsfernsehen waren diesmal zeitlich deutlich länger und hatten bessere Einschaltquoten als 2011. Der Ton wurde schärfer. So machten einige Oppositionelle wie der Geschichtsprofessor Andrej Subow (PARNAS) Putin für die außenpolitischen Miseren persönlich verantwortlich. Auch die Annektierung der Krim und der russische Kampfeinsatz in Syrien wurden offen in Frage gestellt. Im Fokus blieben dennoch innenpolitische Themen wie Armut der Bevölkerung, Korruptionsbekämpfung, Regierbarkeit, Rentenreform und andere. Zahlreiche Kandidaten zogen mit populistischen Versprechungen in den Wahlkampf. Unter anderem wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe thematisiert. 

OSZE beklagt „zahlreiche Missstände“ bei Wahl

774 internationale Wahlbeobachter von neun Organisationen, darunter der OSZE, kontrollierten die Wahlprozedere. Sie konzentrierten sich jedoch wie in den Vorjahren überwiegend auf Moskau, während die schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten in der Regel außerhalb der Hauptstadt registriert wurden. In Moskau und St.-Petersburg beschwerten sich die russischen Menschenrechtler wegen der unerlaubten Agitation am Wahltag. In der russischen Provinz wie in Rostow, Saratow und Barnaul ging es unter anderem um versuchte Manipulationen direkt im Wahllokal oder Behinderung der Wahlbeobachtung. Die OSZE-Mission lobte die „bessere Transparenz“ der Wahlen und die Arbeit des Wahlamtes, kritisierte gleichzeitig „zahlreiche Missstände bei der Stimmzählung“.

Autor*in
Dmitri Stratievski

ist promovierter Historiker, Politologe und Osteuropa-Experte.

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