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Wie Polen unter der PiS-Regierung zum EU-Außenseiter wird

Im Herbst 2019 wählt Polen ein neues Parlament. Die rechtskonservative PiS-Regierung sitzt fest im Sattel. Geschickt fährt sie einen Kurs, der auf Patriotismus und Autorität setzt. Doch der innenpolitische Erfolg der Regierung führt das Land einmal mehr ins außenpolitische Abseits.
von Simon Bujanowski · 14. September 2018
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Nach 14 Jahren Mitgliedschaft in der Europäischen Union setzt sich in Polen Ernüchterung über Europa durch. Diese hängt auch mit der Finanzkrise und mit Geflüchteten zusammen. In Wahrheit hat sie aber viel mehr mit der ungeklärten Rolle Polens innerhalb der EU zu tun.

Polen: Ein Land zwischen Ost und West

Die Rollenfindung Polens innerhalb der EU alles andere als trivial, denn eine „natürliche“ Rolle spielt das Land nicht. Nach Fläche und Einwohnern gehört Polen zu den großen EU-Ländern, nach Wirtschaftsleistung pro Kopf immer noch zu den kleinen. Religiös gehört Polen zu den christlichen, sprachlich zu den slawischen Ländern. Geografisch liegt es genau in der Mitte zwischen West und Ost.

Unmittelbar nach der Unabhängigkeit 1990 wurde die Frage, welche Rolle das Land in Zukunft spielen wollte, schlicht aufgeschoben: Das Ziel der „Rückkehr nach Europa“ mit dem möglichst schnellen Beitritt zu EU und NATO war außenpolitischer Konsens und überdeckte Fragen nach Rolle und Identität. Doch diese kehrten nach erfolgreichem Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit voller Wucht zurück. Nicht zufällig ist der Zeitraum um 2002/2003 der Beginn eine Reihe von Konflikten des Landes mit seinen europäischen Partnern. Eine überzeugende Antwort gibt es bis heute nicht.

Sozial und national: Der erfolgreiche Kurs der PiS

Polen befindet sich in einer Identitätskrise. Die PiS-Regierung bedient dieses Vakuum geschickt, indem sie Identifikation anbietet und gleichzeitig die soziale Situation vieler Menschen verbessert. Schon in ihrer ersten Regierungszeit hat die PiS versucht, den polnischen Staat als „vierte Republik“ neu zu inszenieren. Nach nur zwei Jahren stolperte sie 2007 über eine Affäre. Daraus hat sie gelernt: Seit dem Wahlsieg 2015 geht die von Parteichef Jarosław Kaczyński gesteuerte Regierung mit voller Entschlossenheit und ohne Rücksicht auf Verluste vor.

Damit hat sie innenpolitisch Erfolg: In den Umfragen liegt die PiS seit Monaten stabil bei 40 Prozent. Das liegt nicht zuletzt an der Sozialpolitik, mit der sie ein Alleinstellungsmerkmal hat, da es derzeit keine Sozialdemokraten im polnischen Parlament gibt. Die vorherige liberale Regierung konnte zwar beste Wirtschaftsdaten und ein gutes Verhältnis zu den europäischen Partnern vorweisen, wurde aber den Vorwurf der abgehobenen Eliten-Politik nicht los.

Soziale Wohltaten und fremdenfeindliche Ressentiments

Die PiS-Regierung versprach dagegen sozialen Wohltaten: Sie senkte das Rentenalter auf 65 Jahre für Männer und sogar auf 60 Jahre für Frauen und führte erstmals in Polen ein Kindergeld ein. Dieses beträgt rund 115 Euro, die teilweise schon ab dem ersten Kind ausbezahlt werden. Bei einem Brutto-Monatslohn von landesweit im Durchschnitt rund 1.000 Euro lohnt sich das zusätzliche Einkommen für die Millionen betroffenen Familien sehr.

Vor allem aber nutzte die PiS die Flüchtlingskrise, um fremden- und islamfeindliche Ressentiments zu bedienen. Noch einige Monate vor der Wahl 2015 sprachen sich 72 Prozent der Polen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus, wenn auch ein Großteil davon mit Befristung. Gegen jegliche Aufnahme war nur jeder Fünfte. Als die Vorgängerregierung sich drei Wochen vor der Wahl bereit erklärte, 7.000 Flüchtlinge aufzunehmen, nutzte Kaczyński dies für eine beispiellose Kampagne gegen Flüchtlinge und gegen den Islam. Er scheute weder Halbwahrheiten noch die untersten Schubladen der Diskriminierung. In Polen, einem Land, dessen Bevölkerung relativ wenig direkte Erfahrung mit Einwanderung hat, fiel dies auf fruchtbaren Boden. Die PiS gewann die Wahl deutlich. Ende 2015 waren 53 Prozent gegen die Aufnahme von Flüchtlingen.

Das alles reicht aber nicht als Erklärung für die anhaltende Popularität der Regierung. Die PiS ist weniger Ursache als Symptom einer Entwicklung.

Nationale Bezüge als Identifikation

Als einzige der polnischen Parteien bietet die PiS eine wirksame Antwort auf die Orientierungslosigkeit in Bezug auf Polens Rolle: Sie bedient konservative, nationale und religiöse Einstellungen, schafft eine Identifikation über das vermeintliche „wahre“ Polentum und gegen Fremdes und insbesondere gegen Muslime. Gegenüber der EU und insbesondere Deutschland geht sie auf rhetorische Distanz, um Stärke zu demonstrieren – selbst wenn dies zu peinlichen Niederlagen führt, wie beim gescheiterten Versuch, die Wiederwahl von Erzfeind Donald Tusk als EU-Ratspräsident zu verhindern.

Auch innenpolitisch setzt die Regierung auf Stärke und baut den Staat Schritt für Schritt zu einem autoritären System um. Das PiS-System erinnert mit den Entlassungen im Justizapparat, den überfallartigen Abstimmungen im Parlament und den regierungsgesteuerten öffentlich-rechtlichen Medien manchen Kommentatoren an längst überwundene geglaubte, undemokratische Zeiten.

Diese Politik führt zumindest innerhalb der EU zu Problemen. Polen ist wieder auf dem Weg zum „schwierigen Partner“, als der das Land schon vor 2007 galt. Vor allem die Justizreform bringt Polen diplomatische Probleme mit der EU. Die Regierung führt das Land weg vom Rechtsstaat. Die Kommission hat ein Rechtsstaatsverfahren in Gang gesetzt, der Streit um das Verfassungsgericht und die zwangsweise Verrentung von Richtern geht vor den Europäischen Gerichtshof. Der Fall in Irland, in dem eine Auslieferung nach Polen wegen der dort fehlenden Rechtssicherheit nicht erfolgte, mag wie eine Randnotiz erscheinen, ist aber tatsächlich unter EU-Partnern ein offenes Misstrauensvotum.

Europäischer Gestalter: Chance der Opposition?

Das Polen der PiS wird damit wieder zum Außenseiter in der EU. Anders als zuvor ist Polen zwar damit nicht mehr allein, sondern unter anderem fest an der Seite Ungarns. Doch führt die Regierung das Land weg vom Kern der EU, zu dem Polen eigentlich gehören müsste, wenn es die Entwicklung der Union wirksam gestalten will. Die PiS macht Polen kleiner als es ist – das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen will.

Dabei kann Polen auch anders: Die erfolgreichste Phase der polnischen Europapolitik ist bislang jene der Regierung Tusk (2007-2014), der das Land als pragmatischen und lösungsorientierten Gestalter positionierte. Als einziges Land der EU kam Polen ohne Rezession durch die Finanzkrise. Höhepunkt dieser Zeit war die erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft 2011. Doch Pragmatismus und Nüchternheit mögen eine kluge Politik sein, sie entfalten sehr viel weniger Bindungskraft als die alten Ideale der Nation und der Religion. In Kombination mit schweren innenpolitischen Versäumnissen der Vorgängerregierung und den sozialpolitischen Wohltaten erschien und erscheint die PiS einer Mehrheit immer noch als beste Alternative.

Noch kann Polen den Weg zurück finden

Im derzeitigen Zustand kann die Opposition kaum etwas entgegensetzen. Sie muss eine wirksame Antwort finden, überzeugendes Personal aufstellen und Wege zur Zusammenarbeit finden – für ein erfolgreiches Polen, das wieder auf den legitimen Rechtsstaat aufbaut, den sich auch und gerade viele Polen wünschen, und das zu einer konstruktiven Rolle in der EU zurückfindet.

Die Aufgabe ist schwer, aber noch ist es nicht zu spät. In diesem Abschnitt der Geschichte, in dem es auf die Einigkeit der EU ankommt wie selten zuvor, wäre dies umso wichtiger. Die polnischen Kommunalwahlen im Herbst dieses Jahres und die Europawahl im Frühjahr 2019 sind auf diesem Weg wichtige Indikatoren für die Stimmung.

Autor*in
Simon Bujanowski

ist Politikwissenschaftler und Kommunalpolitiker in Köln. Daneben schreibt er über Integration, Europa und die Zukunft der Politik. Twitter: @bujanowski_de

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