Wie Österreich sich nach dem Corona-Shutdown langsam lockert
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Die neuen Verordnungen zur Bekämpfung des Coronavirus sehen seit Mai eine Öffnung der öffentlichen Orte vor. Die weitere Ausrichtung war auf die Wirtschaft gelegt: Läden mit mehr als 400 Quadratmetern duften wieder aufsperren. Das Politische blieb da auf der Strecke, Versammlungen sind nur bis zehn Personen vorgesehen, nicht ausreichend für die traditionell ordentlich besuchte Demonstration am Tag der Arbeit. Und mögliche politische Gespräche bei einer Melange im Hinterzimmer eines Cafés oder mit einem „16er Blech“ (Dosenbier der Ottakringer Brauerei im 16. Bezirk Wiens) in einem Beisl-Biergarten gehen sich erst ab Mitte Mai aus.
Die türkis-grüne Regierungskoalition aus Österreichischer Volkspartei und der Partei der Grünen hatte Mitte März das Leben im Lande sehr schnell und drastisch verlangsamt, die Hauptstadt Wien, zweitgrößte deutschsprachige Stadt, war menschenleer, Autos fuhren kaum und die nationale Fluglinie AUS ließ ihre Flotte fast komplett am Boden. Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte aufgrund des Wahlergebnisses des Vorjahres und der numerischen Mehrheit der Koalition mit den Grünen die politische Kraft, diese drastischen Maßnahmen ohne viel Kritik im Parlament durchzusetzen.
Granteln gab es kaum, die Opposition aus der sozialdemokratischen SPÖ, den liberalen NEOs und der FPÖ fügte sich. Die Koalition, inzwischen belegt, wollte mit Absicht die Bevölkerung in Schrecken versetzen, um die sicherlich nicht populären Einschränkungen des öffentlichen Lebens schnell voranzubringen. Die Unterstützung im Volke war überwältigend, sowohl für den Kanzler als auch für die ÖVP, die inzwischen gen absolute Mehrheit tendiert. War man doch auch Deutschland voraus.
Doch inzwischen ist die nationale Einheit dahin. Zu salopp und apodiktisch das öffentliche Auftreten der verantwortlichen Politiker, die es nicht für nötig hielten, die Expertise der Wissenschaft mit vor das Mikrophon zu nehmen. Die FPÖ hat einen Antrag gestellt, einen Untersuchungsausschuss zur Corona-Krise einzusetzen. Überprüft werden soll, ob die Mehrzahl der Maßnahmen alternativlos waren.
Streit zwischen den Lagern
Tatsächlich hat schon sehr früh der Streit zwischen denen eingesetzt, die die Gefährlichkeit des Virus als überbewertet einschätzen, vor allem Geschäftsleute, die unter den Schließungen ihrer Verkaufsflächen oder Gastronomiebetriebe leiden, und denen, die die politischen Entscheidungen als vorausschauend und als sehr positiv bewerten. Diese Debatte nimmt zu, weil inzwischen auch Wissenschaftler kritischer hinschauen und statt staatlicher Verbote eher einer moderaten, auf den verantwortungsbewussten Bürger setzenden Politik das Wort reden.
Und die Sozialdemokratie? Sie kämpft an drei Fronten. Zum einen nimmt ihnen der türkise Kanzler in der Krise sozialdemokratische Themen ab. In einer im Land vielbeachteten Rede zu einem Dreivierteljahrhundert der Zweiten Republik, warnte er einheimische Konzerne vor Steuerflucht und kurz vor dem Tag der Arbeit versprach er Steuererleichterungen für Arbeitnehmer. Innerparteilich ist die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner umstritten, auch wenn sie gerade in einer Mitgliedsumfrage der SPÖ bestätigt wurde. Und drittens müht sich die Partei weiterhin ab, Anschluss zu finden an die erfolgreiche Politik ihrer Ikone Bruno Kreisky, der vor einem halben Jahrhundert als Kanzler zu regieren begann und, so SPÖ-Website „damit den Startschuss für ein Reformwerk gegeben hat, von dem die Menschen bis heute profitieren und das Österreich noch immer prägt“.