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Wie Labour den Brexit noch verhindern kann

Vor einer Woche hat eine Mehrheit der Briten für das Ausscheiden aus der EU gestimmt. Doch noch lässt sich der „Brexit“ verhindern. Die Labour-Partei muss alles dafür tun, dass Großbritannien Teil der europäischen Staatengemeinschaft bleibt, meint Nicholas Williams.
von Nicholas Williams · 1. Juli 2016
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Wir können den Brexit aufhalten. Das Referendum vom 23. Juni ist rechtlich nicht bindend, denn der Souverän in Großbritannien ist das Parlament. Wäre dies demokratisch? Ja! Zwar haben 51,9 Prozent der Wähler an den Urnen für den Austritt Großbritanniens aus der EU gestimt, aber nur 37,4 Prozent der Wahlberechtigten wollen wirklich gehen. Selbst für einen Streik ist das notwendige Quorum seit der jüngsten Gesetzesänderung der Tories höher.

Brexit-Kampagne mit Falschinformationen

Mehr als vier Millionen Bürger, also die EU-Ausländer in Großbritannien sowie die Auslandsbriten, durften nur in Ausnahmefällen abstimmen. Der hassgeladene Wahlkampf war an falschen Versprechen und Fehlinformation kaum zu überbieten. Kein Wunder, dass die Brexiter sie schon am Morgen nach der Abstimmung zurücknahmen. Eine mit Falschinformationen geführte Kampagne verführte eine relative Mehrheit dazu, die Geschicke des Landes zu riskieren, und viele Betroffene durften nicht mitstimmen. Ein Mandat, das Land neu zu positionieren, ist das nicht.

Die Regierung ist zusammengebrochen, Cameron zurückgetreten. Beerben werden ihn aller Voraussicht nach entweder Theresa May, die leise für den Verbleib eintrat, oder aber Michael Gove, der laut für den Austritt warb. Beide haben angekündigt, den Brexit umzusetzen. Im Parlament könnte also nur ein Bündnis aus Labour, Liberaldemokraten, Grünen, SNP und konservativen Abweichlern den Austritt aufhalten, indem sie dem künftigen Premier das Vertrauen entziehen.

Um den Brexit abzuwenden, muss Labour einig sein

Die Tories haben derzeit eine hauchdünne Mehrheit im Unterhaus, und einige von ihnen Bauchweh beim Brexit. Es bedarf also nur weniger Stimmen aus der Regierungsfraktion, um Neuwahlen zu erwirken. Danach könnte es einen Lagerwahlkampf geben: Eine Seite, die austreten, sowie eine, die bleiben möchte. In solch turbulenten Zeiten ist das nicht unrealistisch. Diese Chance sollten die Briten und Europa erhalten.

Dafür müsste die Labour Party vereint sein. Leider hat sich die Partei aber genauso selbst zerlegt wie die konservative Regierung. Der Labour-Parteivorsitzende Jeremy Corbyn wurde vergangenes Jahr mit großer Mehrheit von Mitgliedern und Unterstützern gewählt. Hunderttausende traten in die Partei ein, eine neue Bewegung entstand: Labour war auf einmal wieder „cool“. Die Parlamentsfraktion fremdelte jedoch von Beginn an mit dem Parteilinken Corbyn. Zunächst arbeiteten beide Flügel zusammen. Man gewann so jede Nachwahl, übrigens auch die Kommunalwahl im Mai (1326 Mandate gegenüber 842 für die Tories).

Corbyn soll abgeschossen werden

Mit dem Vorwurf, die Kampagne für den EU-Verbleib nur halbherzig geführt zu haben, versucht nun eine Gruppe Abgeordneter, Corbyn aus dem Amt zu drängen. Corbyns Schattenkabinett kollabierte, 172 Abgeordnete entzogen ihm das Vertrauen, nur noch 40 halten zu ihm. Allerdings hat er nach wie vor die Basis sowie die Gewerkschaften hinter sich. Auch steht der Verdacht im Raum, dass einige „Blairites“ ihn loswerden wollen, weil sie die in Kürze bevorstehende Veröffentlichung des Chilcot-Berichts über die Hintergründe zum Irakkrieg lieber unter den Teppich kehren möchten.

Bei Corbyn selbst wird man indes den Eindruck nicht los, dass er letztlich kein EU-Befürworter ist: In der Tat ließ seine Pro-EU-Kampagne die Energie vermissen, mit der er vergangenes Jahr seine Wahl zum Parteivorsitzenden betrieb und Hunderttausende, vor allem junge Menschen, begeisterte.

Labour muss Großbritannien retten

Partei und Fraktion müssen zusammenfinden, wollen sie die Krise lösen. Die Regierung stürzen, einen Wahlkampf führen, das Land vor sich selbst retten: Eine gespaltene Partei kann das nicht. Corbyn kann Erfolg haben, wenn er seine eher lauwarme Haltung in vollen Einsatz, mit Herz und Verstand, für ein gemeinsames Europa verwandelt, und dies Labour als goldene Brücke an seine Gegner anbietet, als Projekt mit Einladung zur Beteiligung.

Corbyn und seine Gegner könnten so zu Staatsmännern werden, die genau das Gegenteil der Tories tun. Diese haben aus Egoismus und Schwäche Großbritannien an den Rand des Abgrunds geführt. Labour aber schuldet die Rettung Großbritannien und Europa. Und Labour schuldet sie sich selbst.

In Memoriam Jo Cox.

Autor*in
Nicholas Williams

ist Mitglied der Labour-Party sowie der SPD und aktiv im Ortsverein Ludwigsburg (Baden-Württemberg).

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