Wie Kroatien mit dem sozialdemokratischen Präsidenten ein normales Land werden könnte
Wer hätte gedacht, dass ein Versprechen auf Normalität so attraktiv für die Wählerschaft sein kann: Zoran Milanović, Sozialdemokrat und ehemaliger Premierminister hat die Präsidentschaftswahlen in Kroatien gewonnen. Mit 52,7 Prozent der Stimmen setzte er sich in der Stichwahl gegen die konservative amtierende Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović durch. Sie erhielt 47,3 Prozent. Trotz seines Vorsprungs von knapp drei Prozent in der ersten Runde am 22. Dezember hatte kaum jemand mit einem so deutlichen Sieg des sozialdemokratischen Herausforderers gerechnet.
Präsident mit Charakter
Angetreten war Milanović als „Präsident mit Charakter“. Es ist ihm gelungen, eine Aufbruchstimmung im Land zu erzeugen: mit dem Slogan „normalno“ und eben dem Versprechen, Kroatien zu einem normalen europäischen Land mit normalen Bürgerinnen und Bürgern zu machen und gegen Korruption und Nationalismus anzugehen, konnte er viele Menschen aus verschiedenen Lagern für sich gewinnen.
Dass ein solches Versprechen so attraktiv sein kann, hängt mit der kulturellen und politischen Polarisierung in dem rund vier Millionnen Einwohner zählenden Land zusammen, das 2013 als letztes Mitglied der Europäischen Union beigetreten ist. Denn fast 75 Jahre nach Kriegsende ist die kroatische Gesellschaft noch immer gespalten zwischen Nationalisten, die sich in der Tradition der ultranationalistischen Ustaša-Bewegung sehen, und der Linken, die sich der antifaschistischen Partisanenbewegung verbunden fühlt. Die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden antagonistischen Lagern auf allen Ebenen der Gesellschaft hindern das Land daran, sich mit der Zukunft statt mit der Vergangenheit zu beschäftigen.
Auch Stimmen aus dem rechten Lager
Milanović konnte mit seinem Wahlkampf nicht nur Wählerinnen und Wähler aus dem gesamten Mitte-links-Spektrum für sich gewinnen, sondern auch eine beträchtliche Anzahl aus dem konservativen Lager. Selbst ein Teil derjenigen, die in der ersten Runde mit 24,5 Prozent für den Kandidaten der extremen Rechten Miroslav Škoro gestimmt hatten, votierte für ihn. Zugutegekommen ist ihm, dass die Sozialdemokratische Partei Kroatiens (SDP) ihre innerparteilichen Querelen und Richtungskämpfe um den Parteivorsitzenden Davor Bernardić überwinden konnte. Diese hatten dafür gesorgt, dass die Partei von 33,5 Prozent in den Wahlen 2016 (gemeinsam mit kleineren Koalitionspartnern) auf 17 Prozent Anfang 2019 abgerutscht war. Derzeit hat die SDP nach letzten Umfragen wieder eine Wählerunterstützung von 25 Prozent. Damit hat sie die national-konservative Regierungspartei „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) eingeholt.
Der Sieg von Milanović ist aber nicht zuletzt auch auf die Spaltung der Rechten in Kroatien zurückzuführen. Die HDZ hat zwei Flügel – der um Parteiführer und Premier Andrej Plenković ist moderat-konservativ, der andere nationalistisch mit ehemaligen, aber aktuell entmachteten Parteigrößen als Protagonisten. Trotz vielfältiger Versuche ist es Kolinda Grabar-Kitarović nicht ausreichend gelungen, die nationalistische und extreme Rechte in und außerhalb der HDZ für sich zu gewinnen.
Grabar-Kitarović ohne Vertrauen
Von den 450 000 Wählerinnen und Wählern, die in der ersten Runde für den drittstärksten Kandidaten Miroslav Škoro gestimmt hatten, gingen nur zwei Drittel zur Stichwahl; von diesen gaben knapp 200 000 ihre Stimme Grabar-Kitarović. 100 000 wählten Milanović, weil sie um jeden Preis eine Wiederwahl von Grabar-Kitarović verhindern wollten. Sie hatte in ihren Augen verspielt, weil sie sich mal als Moderate und dann wieder als Kandidatin der Nationalisten gegeben hatte und mit diesem Kurs und zahlreichen anderen Fehlern Vertrauen verlor. Ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil hielt sich an die Empfehlung von Škoro, den Wahlzettel um einen dritten Punkt zu ergänzen und das „kroatische Volk“ zu wählen. So mussten mehr als vier Prozent der Wahlzettel für ungültig erklärt werden, Stimmen, die vor allem der Amtsinhaberin fehlten.
Die Wahl von Milanović ist daher sowohl Ergebnis der Spaltung der Rechten in Kroatien und potenziell auch Mittel ihrer weiteren Schwächung. Die innerparteilichen Abrechnungnen in der HDZ haben bereits mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen nationalistischem und gemäßigtem Flügel begonnen: „Viele haben alles getan, um die HDZ daran zu hindern, ihren Erfolg von 2014 zu wiederholen“, so Premier und Parteiführer Plenković. Es geht bei dieser Abrechnung vor allem um die Frage, wie stark gerade er in der Partei seinen Kurs halten kann und welche Chancen er auf Wiederwahl hat. Politische Beobachter rechnen nach dieser herben Niederlage für die HDZ mit offenen parteiinternen Machtkämpfen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Partei bis Mai einen Parteitag mit Wahlen für eine Parteiführung abhalten muss. Für Andrej Plenković stehen damit schwere Zeiten bevor.
Außen- und Sicherheitspolitik spielten in den Kampagnen aller elf Präsidentschaftskandidaten nur eine untergeordnete Rolle, obwohl die Verfassung dem Amtsinhaber ausdrücklich Gestaltungsrecht in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gibt. Keine Frage, Milanović ist pro-europäisch, das Land trat während seiner Regierungszeit der EU bei. Im Fernsehduell konnte er gegen seine Rivalin punkten, als er auf die Frage, welches Land der größte Freund Kroatiens sei, selbstverständlich „Deutschland“ antwortete. Grabar-Kitarović hatte die USA genannt und erntete damit allseitiges Befremden, weil dies, wie allseits bekannt, weniger auf politischen Tatsachen als auf ihrer persönlichen Affinität zu dem Land beruht, in dem sie schon als Austauschschülerin war.
Ein pragmatischer Präsident
Dennoch ist Milanović mit Blick auf die Frage des kroatischen Beitritts zur Eurozone und dem Schengenraum bisher nicht gerade als Enthusiast aufgefallen; seine Haltung ist pragmatisch, und ohnehin sei das, wie er betonte, Sache der Regierung – wie im übrigen auch die Ratspräsidentschaft Kroatiens, die pünktlich zum 1.1.2020 gestartet ist. Er will der Regierung und damit dem Regierungschef konstrukiv und beratend zur Seite stehen.
Pragmatische Beziehungen und Normalisierung strebt Milanović auch mit den Nachbarländern in der Region an, allen voran mit Serbien, mit dessen Präsidenten sich die noch amtierende Präsidentin einen regelmäßigen Schlagabtausch lieferte. Hier kann der künftige Präsident positive Akzente setzen. Er ist jemand, der nicht auf die Kriegsjahre zurück-, sondern nach vorne schaut. Zudem glaubt er an die Kraft der Wirtschaft – einen großen Teil des Außenhandels betreibt Kroatien trotz allen Säbelrasselns mit Serbien. Hier liegt noch viel Potenzial. Milanović ist bestens mit politischen Führern in der Region vernetzt und genießt Vertrauen; seit seinem Rückzug aus der Politik 2016 war er unter anderem Berater des albanischen Regierungschefs Edi Rama.
Kroatische Sozialdemokratie kann wieder Wahlen gewinnen
Mit der Wahl Milanovićs hat die kroatische Sozialdemokratie gezeigt, dass sie wieder Wahlen gewinnen kann. Parteiführer Davor Bernardić baut darauf, dass die Aufbruchstimmung anhält und der SDP Rückenwind für die im September 2020 anstehenden Wahlen gibt. Gemeinsam mit kleineren Parteien aus dem Mitte-links-Spektrum hatte Milanović 2011 in einer ähnlichen Aufbruchstimmung die Parlamentswahlen gewonnen und eine Koalitionsregierung gebildet.
Ob Milanović seiner Partei als Präsident dazu verhelfen kann oder will, ist eine offene Frage. Als Staatspräsident muss er überparteilich agieren und Brücken zwischen den ideologischen Lagern bauen. Das Zeug dazu hat er, auch weil er kein ideologischer Linker ist. In der Zeit seiner Präsidentschaft muss er seine Mitgliedschaft in der SDP ruhen lassen, in der er in den vergangenen Jahren ohnehin keine Rolle mehr spielte. Trotz der versöhnlichen Töne, die er während seiner Kampagne in alle Richtungen ausgesandt hat, ist Milanović vielen Kroaten noch als Politiker der offenen Worte in Erinnerung, der sich wenig um die Meinung anderer scherte und einen Hang zu Arroganz und Alleingängen hat. Ein Mann mit Charakter, wie er selbst seinen Markenkern beschreibt.
Dieser Artikel erschien zunächst im ipg-Journal.