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Wie Jeremy Corbyn Labour zum Brexit-Hardliner macht

Am Mittwoch hat London den Brexit-Antrag gestellt. Die Regierung hat dabei von der Labour-Opposition keinen Widerstand zu erwarten. Im Gegenteil: Unter Parteichef Jeremy Corbyn ist Labour auf einen Anti-EU-Kurs eingeschwenkt, der sich in Teilen von Rechtspopulisten kaum noch unterscheidet.
von Ulrich Storck · 29. März 2017
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Die Regierung Theresa May steuert auf den harten Brexit zu. Seit dem Referendum fehlt der knappen Hälfte der Bevölkerung, die ihre Zukunft als EU-Mitglied sieht, die politische Vertretung. Dazu wäre Labour als wichtigste Oppositionspartei mit europafreundlicher Tradition prädestiniert. Zwei Drittel der Labour-Wähler haben für den Verbleib gestimmt, nahezu alle Abgeordneten der Labour-Fraktion sind EU-freundlich. Der letzte Parteitagsbeschluss zum Brexit besagt, die Option auf Verbleib in der EU – selbst auf ein zweites Referendum – offen zu halten, falls die Verhandlungsergebnisse zum Austritt unzureichend ausfallen.

Jeremy Corbyn maßregelt europafreundliche Abgeordnete

Umso erstaunter beobachtet man, dass die Partei seit Herbst schleichend immer härtere Positionen bezieht, Theresa May in ihrem Zusteuern auf einen harten Brexit Beistand leistet und den Vorstellungen der EU-kritischen und rechtspopulistischen UK Independence Party (UKIP) kaum mehr widerspricht. Stand Parteichef Jeremy Corbyn einst für freien Personenverkehr und Migration ein und Schatten-Brexit-Minister Keir Starmer für das Primat des Verbleibs im Binnenmarkt, stimmen sie inzwischen beide in die Anti-Migranten-Rhetorik der Brexit-Hardliner ein. Das Argument von UKIP, die EU stehe für unkontrollierbare Masseneinwanderung, wird von der Labour-Führung nicht mehr angefochten.

In den vergangenen Wochen debattierte das Parlament die „Brexit Bill“. Im Unterhaus stellte keine Seite den Brexit selbst infrage, es ging nur noch um Konditionen wie die Nähe zum Binnenmarkt oder das Bleiberecht für EU-Bürger in Großbritannien. Viele dieser Forderungen wurden von Labour-Abgeordneten eingebracht. Trotzdem verpflichtete Corbyn seine Parlamentarier mit striktestem Fraktionszwang dazu, das Gesetz letztlich ohne Zusatzbedingungen durchzuwinken. Abtrünnige wurden gemaßregelt, wichtige Funktionsträger traten zurück. Dass trotzdem über ein Fünftel der Labour MPs gegen das Gesetz stimmte und sich damit gegen ihren Parteichef stellte, offenbart, wie zerrissen die Partei und wie umstritten ihr Vorsitzender ist. Auch im Oberhaus stimmten - angewiesen durch ihren Parteichef - die Labour Peers gegen einen Änderungsantrag für den Verbleib im Binnenmarkt.

Labour fürchtet Stimmeneinbußen bei Pro-Europa-Kurs

Zur Rechtfertigung ihres Wandels von einer Europa-Partei zum harten Brexit-Verfechter weist Labour intern auf drei Konstellationen hin: Erstens liegt Labour in Umfragen 17 Prozentpunkte hinter den Tories; bei vorgezogenen Wahlen würde man eine krachende Niederlage erleiden. Die europafeindliche Presse treibt die Politik beim Brexit vor sich her. Bei einem offenen Einstehen für Europa fürchtet die Partei, noch weiter abzustürzen. Hinter vorgehaltener Hand versichern Labour-Abgeordnete, man würde auf den richtigen Zeitpunkt warten, um sich dann wieder für Europa einzusetzen, gegebenenfalls sogar für ein zweites Referendum. Doch ist ein solch günstiger Moment derzeit abzusehen? Eher steht doch zu erwarten, dass sich die Stimmung mit Beginn der Verhandlungen – die für die Briten ein schmerzliches Erwachen bedeuten dürften – noch weiter erhitzt.

Zweitens: Obwohl Labour-Wähler überwiegend für den Verbleib stimmten, überwog doch in zwei Drittel der Labour-Wahlkreise das Brexit-Votum. Viele pro-europäische Mandatsträger vertreten jetzt europafeindliche Wahlkreise. Für diese stellt sich künftig die Frage ihres Mandatsverständnisses: Sollten sie die Meinung der Mehrheit ihres Wahlkreises vertreten oder sollten sie vielmehr ihrem Gewissen verpflichtet sein? Folge dieses Dilemmas ist eine Änderung der Tonlage auch überzeugter EU-Anhänger. Zunehmend hört man auch von Labour-Abgeordneten, man müsse die Ängste der Bevölkerung vor Einwanderung ernst nehmen und als Konsequenz die EU-Immigration eindämmen.

Die Liberaldemokraten könnten profitieren

Drittens befürchtet Labour, in den traditionellen Arbeitermilieus – deren Protest sich in ihrer mehrheitlichen „Leave“-Wahl Luft machte – massiv Stimmen an UKIP zu verlieren. In einer kürzlich erfolgten Nachwahl zeigte sich diese Sorge jedoch als unbegründet: Obwohl Labour – wie derzeit überall außer in London – Stimmen verlor, konnte der Sitz doch gehalten werden.

Da die 16 Millionen „Remain“-Wähler von Labour keine beherzte Vertretung erwarten können, werden sich viele zur einzig verbleibenden Pro-EU-Partei schlagen: den Liberaldemokraten. Labour wäre gut beraten, Abwanderungen von „Remain“-Wählern zu den LibDems mehr zu fürchten als von „Leave“-Wählern zu UKIP. Daher wäre es auch rein taktisch vernünftig, sich wieder europafreundlicher aufzustellen. Ob das geschehen wird mit einem Vorsitzenden, der selbst nie ein Freund der EU war, der nie entschlossen dem Brexit entgegentrat und dem man gar unterstellt, er selbst hätte für den Austritt gestimmt, ist sehr fraglich.

Eine Langfassung dieses Beitrages ist bei „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG) erschienen.

Autor*in
Ulrich Storck

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen.

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