Wie es in Spanien nach der gescheiterten Wahl von Sánchez weitergeht
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Eigentlich ringt Spanien schon seit Dezember 2015 um eine stabile Regierung. Damals musste der Konservative Mariano Rajoy von der Partido Popular (PP) bei den Parlamentswahlen erheblich Federn lassen und das alte Wechselspiel zwischen konservativer PP und sozialdemokratischer Partido Socialista Obrero Espagnol (PSOE) wandelte sich mit der liberalen „Ciudadanos“ und der linkspopulistischen „Podemos“ in ein Mehrparteiensystem. Hinzu kamen immer schon die Regionalparteien vor allem aus dem Baskenland und Katalonien, die hier und da für die restlich notwendigen Stimmen gesorgt hatten. Seit den Regionalwahlen in Andalusien im Dezember und den nationalen Wahlen am 28. April komplettiert die rechtspopulistische Vox mit ihren Wahlerfolgen die fragmentierte Parteienlandschaft.
Kein Vertrauen zwischen Sánchez und Iglesias
Wie am Donnerstag scheiterte Pedro Sánchez schon im März 2016 an der linkspopulistischen „Podemos“. Ihr Vorsitzender, Pablo Iglesias, verwehrte ihm damals seine Stimmen, als es darum ging, das zwischen der PSOE und „Ciudadanos“ ausgehandelte Regierungsbündnis in der Vertrauensabstimmung zu bestätigen und die Konservativen aus der Regierungsverantwortung zu drängen. Das hat bis heute – vor allem das persönliche – Vertrauensverhältnis zwischen beiden erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Monate später sorgten die Sozialdemokraten dafür, dass der geschäftsführende konservative Premier im Amt bestätigt wurde. Zu diesem Schritt des Entgegenkommens im Interesse des Landes mochte der neue Chef der konservativen Partido Popular, Pablo Cassado, sich indes jetzt nicht durchringen.
Vor zwei Jahren hatte sich die Führung der PSOE über dieses Abstimmungsverhalten zutiefst zerstritten: Sánchez musste als Vorsitzender zurücktreten die Partei rutschte in den Umfragen weit unter die 20 Prozent und lag zeitweise sogar hinter „Podemos“. Beim Mitgliederentscheid 2017 setzte sich Sánchez erneut gegen das Parteiestablishment durch, gewann erfolgreich im Juni 2018 ein Misstrauensvotum gegen Rajoy und führte als neuer Regierungschef die Sozialdemokraten bei den Parlamentswahlen im April mit 28 Prozent (gefolgt von der PP mit 17) zu einem deutlichen Sieg: Der Zuwachs ist vor allem durch den Rückgewinn von enttäuschten Wählern zu erklären, die 2016 bis 2018 zu den Linkspopulisten abgewandert waren. Der progressive sozialpolitische, frauenorientierte (es gibt etwa mehr Frauen als Männer im derzeitigen Kabinett wie in der Fraktion), dialogbereite (etwa mit Katalonien) proeuropäische Kurs sprach aber auch Wähler und Wählerinnen der politischen Mitte an, die den Rechtsschwenk von PP und „Ciudadanos“ nicht mitgehen wollten.
Suche nach einem neuen Politikmodell
Gestärkt durch die Europawahlen im Mai (33 Prozent) gingen die Sozialdemokraten mit einem klaren Führungsanspruch in den Verhandlungspoker. Dennoch fehlten ihnen bei den Vertrauensabstimmungen am 23. und 25. Juli die notwendigen Partner. Die 123 Parlamentssitze reichten bei weitem nicht an die notwendigen 176 Stimmen für die notwendige Mehrheit. Selbst bei der zweiten Runde, wo nicht mehr die absolute, sondern nur noch die einfache Mehrheit gefragt war, reichte es nicht. Bis eine Stunde vor der Abstimmung hatten PSOE und „Podemos“ miteinander gerungen. Dabei hatte Sánchez ihnen eine Vizeregierungspräsident (für Soziales) und drei Ministerämter geboten. Was die Sozialdemokraten (bei einem Mandatsverhältnis von 123 zu 42) als maximales Entgegenkommen werteten, wies die Führung von „Podemos“ als ein Abspeisen mit unwichtigen Ämtern zurück.
Weil absolute Mehrheiten wie es sie früher in Spanien gab der Vergangenheit angehören, bleibt nach den Abstimmungniederlagen für Sánchez die Herausforderung für alle Parteien bestehen: ein neues, kooperatives Politikmodell der Koalitionsbildung, das es bisher nur in einigen Regionen gibt, aber nicht auf nationaler Ebene. Nur so lässt sich die eher konflikthafte politische Kultur des Landes vernünftig lenken.
Keine Tradition mit Bündnissen
Doch Regierungsbündnisse zu schmieden hat in Spanien keine Tradition. Und so kritisieren Beobachter auch, dass die Koalitionsverhandlungen zwischen Podemos und PSOE zu spät begonnen und zu öffentlich stattfgefunden haben. Mancher zweifelt gar an der Ernsthaftigkeit der Gespräche.
Um einen politischen Stillstand im Land zu verhindern, bleiben den Sozialdemokraten zwei Monate. Denn alle rechnen damit, dass Sánchez im September mit Verweis auf Neuwahlen noch einmal versuchen wird, eine Regierung zu bilden – entweder mit „Podemos“, der im Falle von Neuwahlen massive Stimmeneinbußen prognostiziert werden, oder vielleicht mit der rechtsliberalen „Ciudadanos“. Wird er dann wieder nicht als Ministerpräsident bestätigt, kommt es Anfang November zu einem erneuten Urnengang – dem vierten in vier Jahren.