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Wie es nach dem historischen Misstrauensvotum in Österreich weitergeht

Nach dem Sturz der Regierung sortieren sich die Parteien in Österreich für den Wahlkampf. Während Ex-Kanzler Sebastian Kurz auf die Strategie „Das Volk gegen das Parlament“ setzt, läuft es für die SPÖ bisher nicht rund.
von Robert Misik · 28. Mai 2019
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Seit nunmehr zehn Tagen dreht sich Österreichs innenpolitische Szenerie immer beschleunigter in einem Spirale Richtung Chaos. Folgte auf die Veröffentlichung der Ibiza-Tapes der unkontrollierte Totalzusammenbruch der Regierung von Sebastian Kurz in einem Stakkato von Ministerrücktritten, Neuwahlbeschluss, Amtsenthebung von Ministern, Mehrheitsverlust von Sebastian Kurz im Parlament, so kulminierte alles am Montag im großen Knall. Mit einem Misstrauensvotum wurden der Kanzler und seine ganze Regierung aus dem Amt gekegelt.

In Österreich übernimmt ein Technokratenkabinett

So etwas hatte es im stabilitätsversessenen, leicht verschnarchten Österreich noch nicht gegeben. Nicht einmal als Chef einer Übergangsregierung bis zu Neuwahlen konnte sich Sebastian Kurz halten. Jetzt muss ein Technokratenkabinett übernehmen, mit Elder Statesmen und öffentlichen Figuren aus Verwaltung und Justiz, die über alle Parteigrenzen hinaus Ansehen genießen. Wer das sein wird, steht bisher in den Sternen. Vom pensionierten Ex-EU-Kommissar bis zum Verfassungsgerichts-Präsidenten kursieren verschiedenste Namen.

Alle Akteure spielen gerade ein Hochrisikospiel: allen voran Sebastian Kurz. Gegen die Abwahl seiner Regierung hat er, seitdem die absehbar war, eher wenig unternommen. Seinen Aufstieg verdankte er seinem polarisierend-populistischen Stil, in diesem Wir-gegen-Sie-Stil hat er seine Regierung geführt und in diesem Stil hat er auch im Moment seiner ärgsten Krise weiter gemacht. Er hat sofort auf Wahlkampfmodus geschaltet, statt den Konsens zu suchen und die Gräben zu überwinden. Im Gegenteil: Im Grunde hat er in der vergangenen Woche noch mehr Brücken angezündet – er hat weiter die bisherigen Opposition vor den Kopf gestoßen und zudem auch noch seinen bisherigen Koalitionspartner, die rechtsextremen Freiheitlichen zur Weißglut gebracht.

Die Strategie des Sebastian Kurz

Erst diese Vorgangsweise hat dazu geführt, dass die Mehrheit in Parlament im Grunde kaum eine Alternative dazu hatte, als sein Minderheitskabinett in die Wüste zu schicken. Fast scheint es so, als habe sich Kurz die Abwahl am Ende sogar gewünscht. Sogar die weitere Führung der Amtsgeschäfte bis zur Bildung einer Übergangsregierung lehnte Kurz ab. Und zuletzt war zu hören, er werde nicht einmal ein Parlamentsmandat annehmen und damit auch nicht die Parlamentsfraktion seiner türkis angefärbelten ÖVP anführen. Damit ist seine Wahlkampfstrategie klar: Er will als Mann des Volkes wahlkämpfen, unbehindert von Amt und Mandat, mit der Botschaft: "SIE haben MICH abgewählt, IHR könnt IHNEN die Antwort geben."

Botschaft zwei: Ich oder das Chaos. Welch populistische Instinkte den 32-Jährigen antreiben zeigt seine Rhetorik der letzten Tage. Das Parlament habe ihn abgewählt, das Volk kann ihn wieder wählen. Das Volk gegen das Parlament. Es ist ein Griff in eine rhetorische Mottenkiste, die schon richtiggehend gruselig wirkt. Die antiparlamentarische Rhetorik der zwanziger Jahre klang nicht viel anders. „Steh auf für Sebastian“, sang die Menge beim Wahlkampfauftakt der ÖVP, der keine zwei Stunden nach Kurz' Abwahl stattfand.

Die Strategie der FPÖ lautet „Rache für Strache“

Kurz' Vorteil freilich ist: Er ist nicht nur populär, er hat auch eine ziemlich einfache, eingängige Geschichte zu erzählen, die etwa so funktioniert: Ich habe es mit der FPÖ versucht, aber wir alle haben gesehen, dass sie nicht regierungsfähig ist. Alle sind gegen mich. Aber nur ich bin ein Garant der Stabilität.

Eine solche einfache, eingängige Story haben die anderen kaum anzubieten. Die FPÖ noch am ehesten, die sich nach dem Ibiza-Skandal erstaunlich schnell stabilisiert hat und sofort auf Angriffsmodus umstellte: Unser Vormann hat einen Fehler gemacht, aber er hat sofort Konsequenzen gezogen. Die Videofalle haben unsere Feinde gestellt, die uns vernichten wollen. Denn das System ist gegen uns. Damit können sie ihre Stammwählerschaft, die Wütenden, die Anhänger von Verschwörungstheorien, die Systemgegner bei der Stange halten. Die Parole, buchstäblich: „Rache für Strache“.

Die SPÖ kann nicht profitieren

Besonders unrund läuft es derweil für die Sozialdemokraten. Bei den EU-Wahlen konnten sie überhaupt nicht vom Regierungskollaps profitieren, im Gegenteil: Sie verloren sogar noch, wenngleich im Promillebereich. Seit dem Auftauchen der Ibiza-Videos stolpern sie den Ereignissen hinterher. Klare Wortmeldungen kommen immer mit Verspätung. Die SPÖ hatte auch nur eher unangenehme Alternativen: Für den Misstrauensantrag und die Abwahl von Kurz sprach, dass er das Land ins Chaos geführt hat und auch danach niemals versuchte, einen Konsens über die Parteigrenzen hinaus aufzubauen, zudem, dass er jetzt ohne Kanzlerbonus und ohne Regierungsressourcen Wahlkampf führen muss und dass die emotional-psychopolitische Erwartungshaltung ihrer Aktivisten die Abwahl erwartete.

Gegen die Abwahl sprachen die Stabilitätsbedürfnisse des Wahlvolkes und die erwartbare Aussicht, dass sich Sebastian Kurz dann eben in die Opferrolle werfen würde. Vor allem aber: Die Partei hat keine erkennbare Kommunikationsstrategie. Pamela Rendi-Wagner, die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin wirkt seit Wochen schon verunsichert, was gewiss kein Wunder ist, wenn sie von allen Seiten hörst, dass es für sie und ihre Partei nicht so gut läuft. Das Team um sie herum ist offensichtlich dysfunktional. Während Sebastian Kurz sofort klare, einfache Botschaften fand, doktert die SPÖ an Schachtelsätzen herum, die im besten Fall verpuffen, im schlimmeren Fall unglaubwürdig wirken. Man kann das auch simpler formulieren: Es fehlt an Selbstbewusstsein und am Glauben an die eigene Stärke und das merkt das Publikum einfach, insbesondere im Kontrast zur Konkurrenz.

Wie die SPÖ punkten kann

Das ist jetzt die Ausgangslage vor einem schwierigen Wahlkampf. Entschieden ist freilich noch nichts. Die Turbulenzen der vergangenen Tage werden in den Hintergrund rücken. Sebastian Kurz hat erstmals einen machttaktischen Rückschlag erlitten. Er versucht zwar, wie ein Judoka, das Beste aus seiner Lage zu machen: Aber die Implosion seiner Regierung hat er sich natürlich ebensowenig ersehnt wie die Abwahl per Misstrauensvotum. Er wird jetzt erstmals einen Wahlkampf mit schlankem Team ohne die Mega-Ressourcen von Staatsämtern führen müssen, mehr noch, er muss sich an diese neue Situation ganz schnell adaptieren. Ob seine Opfer-Rhetorik über drei Monate trägt? Schwer zu  sagen.

Die SPÖ-Frontfrau hat immer noch alle Chancen, sich als Alternative zu den Machtintriganten und populistischen Aufhussern von Rechts zu präsentieren, sie könnte den Vorteil ausspielen, niemals Teil dieses Machtkartells gewesen zu sein und versprechen, in Stil und Politik einen Neuanfang zu repräsentieren. Dafür ist notwendig, dass sie wieder an Lockerheit und Selbstsicherheit gewinnt und einen ruhigen, aber politisch-markanten Sachwahlkampf ohne Phrasen führt. Ein erheblicher Teil der Wähler hat die Politik, die niedrige Instinkte und Gereiztheit schürt, satt.

Alles ist möglich

Gewiss, beim heutigen Stand hat Sebastian Kurz die besten Chancen, deutlich gestärkt aus Neuwahlen hervorzugehen, sodass kaum ein Weg um ihn als Kanzler herum führt. Aber eben nur beim heutigen Stand. Denn es fliegen so viele Trümmer herum, das politische System in Österreich ist derart in Bewegung, dass unmöglich eine Prognose abzugeben ist, wie sich all das in den nächsten drei Monaten sortiert. Steht er am Ende als Machtrickser da, dem es nur um ihn selbst geht? Oder als das Bollwerk gegen das Chaos? Man wird sehen. Letztlich spielen alle im Augenblick nur allein aus dem Tag geborene Taktikspiele. Kurzum: Alles ist möglich.

Autor*in
Robert Misik
ist Journalist und politischer Autor. Er lebt in Wien.
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