International

Wie Erdoğan um jeden Preis die türkischen Kommunalwahlen gewinnen will

In wenigen Tagen finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Das Land ist geplagt von Inflation und Wirtschaftskrise, doch die AKP-Regierung versucht mit Schmutzkampagnen davon abzulenken. Die Opposition steht enorm unter Druck - könnte der AKP aber die Hauptstadt Ankara streitig machen.
von Kristina Karasu · 26. März 2019
placeholder

Wenn in der Türkei die politische Rhetorik unter die Gürtellinie sinkt, dann kann man sicher sein: Es ist wieder Wahlkampf. Diesmal stehen am 31. März landesweite Kommunalwahlen an. Man könnte erwarten, dass sich die öffentliche Diskussion auf regionale Probleme, Projekte und Kandidaten konzentrieren würde. Doch nicht so in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan dominiert auch diesmal die Debatten, obwohl er gar nicht zur Wahl steht.

Erdoğan schürt den Hass der Muslime

Diesmal gehe es um nicht weniger als um den Fortbestand der türkischen Nation, warnen Erdoğan und ihm treue Politiker unermüdlich. Das Land sei von Feinden im Inneren wie Äußeren umgeben. Auf öffentlichen Wahlveranstaltungen zeigte er wiederholt das vom Täter gefilmte Video vom Attentat in Churchtown, Neuseeland – um zu beweisen, wie weltweit der Hass auf Muslime steige.  Ein geschmackloses und gefährliches Wahlkampfmittel, dass nur noch mehr Hass und Gewalt sähen könnte.

Doch um zu gewinnen setzt Erdoğan bei Bedarf auch den sozialen Frieden des Landes aufs Spiel. Am Weltfrauentag, dem 8. März, wurden friedliche Demonstrantinnen in Istanbul von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas attackiert. Erdogan verkündete prompt, die Frauen hätten mit Pfiffen und Buhrufen versucht, den Gebetsruf der nahegelegenen Moschee zu übertönen. Die Veranstalterinnen bestreiten das, auch die Videos von der Demonstration widerlegen den Vorwurf.

Frauenfeindliche Fake News der AKP

Trotzdem diskutierten Regierungsvertreter und Medien tagelang über das Thema. Manche regierungstreue Kolumnisten beschimpfen die Demonstrantinnen gar als feministische Schlampen und Huren. Beleidigungen, die viele Türken sprachlos machen. „Um eine Bürgermeisterwahl zu gewinnen, sind Sie auf dem besten Weg, das Land in Brand zu stecken“ warnt Kolumnist Mehmet Y. Yılmaz den Präsidenten auf dem Internetportal T24. Dabei diene diese erlogene Debatte nur dazu, die Wahrheit zu verbergen, betont die linksorientierte Zeitung Birgün: „Die Realität sind die Wirtschaftskrise, Armut, Inflation und Arbeitslosigkeit.“

Tatsächlich ist die türkische Wirtschaft in die Rezension gerutscht -  in den letzten beiden Quartalen 2018 sankt das Bruttoinlandsprodukt um 1,6 und um drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Derzeit liegt die Inflationsrate bei 20 Prozent, vor allem Dinge des täglichen Lebens sind sehr teuer geworden. Schuld ist besondere die Talfahrt der Türkischen Lira gegenüber Dollar und Euro im letzten Jahr. Auch in den letzten Tagen verlor die heimische Währung wieder mehrere Prozentpunkte an Wert – Bürger und Unternehmer sind zutiefst verunsichert.

Wirtschaftskrise drückt die Stimmung

Der Regierung, die jahrelang mit immensem Wirtschaftswachstum glänzen konnte, gehen dadurch die Argumente aus. Tatkräftig versuchte die Regierung zwar gegenzusteuern, bietet seit ein paar Wochen etwa subventioniertes Gemüse an städtischen Verkaufsständen an oder hat die Mehrwertsteuer auf Möbel und Neuwagen reduziert. Doch das sind kurzfristige Maßnahmen. Die meisten enden nach den Kommunalwahlen und können die Türkei kaum nachhaltig aus der Krise heben.

Als Kandidat für die wichtigste Stadt Istanbul mit 16 Millionen Einwohnern hat Erdoğan Binali Yıldırım aufgestellt – der war bis letztes Jahr noch Premierminister. Dass Erdoğan seinen wichtigsten Mann nun als Bürgermeister aufstellt offenbart, wie sehr er fürchtet, die Metropole Istanbul zu verlieren. Zudem ist die AKP landesweit ein Wahlbündnis mit der ultrarechten MHP eingegangen – ohne die hätte sie an vielen Orten erst recht keine Chance mehr, die Mehrheit zu holen.

Holt die Opposition Bürgermeisterposten in Ankara?

Die größte Oppositionspartei CHP, Schwesterpartei der SPD, hat sich mit der Mitte-Rechts angesiedelten İYİ Parti verbündet. Ihr Istanbuler Kandidat Ekrem İmamoğlu ist ein erfolgreicher Kommunalpolitiker, relativ jung und mit ansprechenden Stadtprojekten im Gepäck. Doch gegen den mächtigen AKP-Veteran Binali Yıldırım wird er wohl kaum gewinnen können.

Anders sieht es in Ankara aus. Dort liegt der CHP-Kandidat Mansur Yavaş derzeit in den Umfragen vorne. Für die Regierung wäre ein Verlust der Hauptstadt Ankara ein Schreckensszenario. Da erscheint es kaum als Zufall, dass in den letzten Tagen staatsanwaltliche Ermittlungen wegen Betrug und Urkundenfälschung gegen Yavaş eingeleitet wurden. Yavaş bestreitet die Vorwürfe vehement: "Diejenigen, die eingesehen haben, dass sie bei demokratischen Wahlen nicht gewinnen können, versuchen, meinen Ruf zu beschädigen“, erklärte er jüngst auf einer Pressekonferenz. „Dies ist der schändlichste Wahlkampf, den unsere politische Geschichte je gesehen hat.“

Erdoğan droht Kurden mit Zwangsverwaltung

Ob er nun unschuldig ist oder nicht – von einem fairem, sachlichen Wahlkampf kann kaum die Rede sein. So drohte Präsident Erdoğan in den letzten Tagen der rhetorisch starken Führerin der İYİ Parti Meral Akşener offen mit Gefängnis. Den kurdischen Wählern droht Erdoğan, erneut Zwangsverwalter in kurdischen Gebieten einzusetzen, falls sie dort wieder „Terrorhelfer“ in die Rathäuser wählen würden.

In den letzten Jahren wurden im Südosten zahlreiche BürgermeisterInnen der prokurdischen HDP abgesetzt und durch Zwangsverwalter der AKP-Regierung ersetzt – angeblich weil sie die Kurdenmiliz PKK unterstützt hätten. Ein Großteil der HDP-Führungsriege sitzt im Gefängnis, im Fernsehen wird ihnen so gut wie keine Sendezeit eingeräumt. Und wenn doch, dann nur um sie als Terroristen zu verunglimpfen. Terrorist oder Terrorhelfer wird ohnehin mittlerweile jeder genannt, der sich der Regierung entgegenstellt – ob Oppositionspolitiker, Menschenrechtler, Gezi-Demonstranten oder kritische Wissenschaftler.

Europaparlamanet für Stopp der EU-Beitrittsgespräche

Kein Wunder also, dass das Europaparlament am 13. März mit großer Mehrheit dafür stimmte, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei offiziell auszusetzen. Auch wenn Verhandlungen zuletzt nur noch eine Farce waren, so bargen sie für demokratische Geister im Land doch immer noch Hoffnung auf Reformen. Solch ein Wind der Hoffnung weht bei diesen Wahlen kaum noch.

 

 

 

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare