International

Wie die Mongolei sich erfolgreich gegen Corona behauptet

Während Deutschland neue Rekorde bei der Ausbreitung von Covid-19 verzeichnet, ist die Pandemie aus dem Alltag der Menschen in der Mongolei so gut wie verschwunden.
von Niels Hegewisch · 5. November 2020

Auf eine Million Einwohner kommen in dem bevölkerungsarmen Flächenland zwischen Russland und China lediglich rund 100 Covid-19-Fälle. In Deutschland sind es knapp 6.000. Die Mongolei führt damit den Beweis, dass eine junge Demokratie unter sozialdemokratischer Führung im Kampf gegen eine globale Pandemie bestehen kann.

Stabile Demokratie

Seit der friedlichen Revolution von 1990 ist die Mongolei eine stabile Demokratie, die bereits mehrere friedliche Regierungswechsel erlebt hat. Auch wenn die Politik des bevölkerungsarmen, aber rohstoffreichen Flächenlandes unter Korruption und Politikverdrossenheit leidet, haben sich in der Mongolei freie Wahlen, konkurrierende Parteien und eine lebendige Medienlandschaft etabliert. Seit 2016 regiert in der Hauptstadt Ulaanbaatar die sozialdemokratische Mongolische Volkspartei und stellt damit eine der wenigen sozialdemokratischen Regierungen in Asien. Als demokratisches Land musste sich die Mongolei anderer Instrumente als China oder Russland bedienen, um die Pandemie zu bekämpfen.

Dass dies gelingen kann, zeigt die beeindruckende Erfolgsbilanz der Mongolei. Bis heute hat es keine einzige lokale Übertragung von Covid-19 gegeben. Aktuell sind lediglich 28 aktive Covid-19-Fälle registriert, die allesamt aus dem Ausland eingeschleppt und umgehend isoliert wurden.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor im Kampf gegen die Pandemie ist die dünne Besiedelung des Landes. Rund 3,3 Millionen Mongolen bewohnen eine Fläche, die viereinhalbmal so groß ist wie die Bundesrepublik. Doch das kann nicht erklären, weshalb es auch in der Hauptstadt Ulaanbaatar, in der etwa die Hälfte der Bevölkerung auf engem Raum zusammenlebt, bislang zu keinem Covid-19-Ausbruch gekommen ist.

Weitreichende Maßnahmen beschlossen

Entscheidender dürfte daher sein, dass die mongolische Regierung die ersten Nachrichten über eine neuartige Lungenkrankheit in China bereits im Januar 2020 sehr ernstgenommen und rasch darauf reagiert hat. Sie konnte dabei auf die Erfahrung der Mongolen im Umgang mit Tierseuchen zurückgreifen. Traditionell spielt die Viehzucht für die Wirtschaft, Kultur und Geschichte eine große Rolle. Seit Jahrhunderten ist daher allgemein bekannt, wie rasch und mit welch verheerenden Folgen sich Tierseuchen ausbreiten können und wie man dagegen vorgeht.

Auf diesen geteilten Erfahrungsschatz konnte die Regierung zurückgreifen, als sie frühzeitig eine ganze Reihe weitreichender Maßnahmen beschloss, die das öffentliche Leben innerhalb kürzester Zeit auf ein Minimum reduzierten. Bildungseinrichtungen wurden geschlossen und der Unterricht ins Fernsehen oder Internet verlegt. Auch der Einzelhandel sowie Kultur- und Sporteinrichtungen mussten schließen. Der öffentliche Dienst ermöglichte Heimarbeit. Eine Maskenpflicht wurde ebenso wie strenge Hygieneregeln im öffentlichen Raum erlassen. Und während des wichtigsten mongolischen Festes, dem Weißmondfest, wurden Inlandsreisen untersagt und Familien dazu angehalten, sich nur im kleinen Kreis zu treffen. Sukzessive wurden Flugverbindungen aus dem Ausland eingestellt und die Landgrenzen geschlossen. Seit Mitte März gibt es keine Möglichkeit mehr, regulär in die Mongolei einzureisen.

Soziale Folgen abgemildert

Zur Akzeptanz dieser Maßnahmen trägt die umfassende und transparente Informationspolitik der Regierung bei. Regelmäßig und unter großer öffentlicher Anteilnahme informiert das Gesundheitsministerium über die aktuelle Lage und die Vorbereitungen auf einen möglichen lokalen Ausbruch der Pandemie. Dabei wird immer wieder klar kommuniziert, dass das mongolische Gesundheitssystem mit einem lokalen Ausbruch von Covid-19 rasch überfordert wäre. So können die auch in der Mongolei allgegenwärtigen Gerüchte und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien in ihrer Wirkung effektiv beschränkt werden.

Entscheidend ist aber auch, dass die Regierung bereits früh auf den erwarteten Wirtschaftseinbruch reagiert hat. Die Mongolei lebt hauptsächlich vom Rohstoffexport. Die sinkende Nachfrage einer pandemiebedingt schwächelnden Weltwirtschaft sowie die Hindernisse beim Export in Zeiten geschlossener Grenzen treffen das Land hart. Und der einheimische Dienstleistungssektor – vom zusammengebrochenen Tourismus ganz zu schweigen – hat unter den Maßnahmen zur Pandemieprävention besonders stark gelitten. Für 2020 wird ein Rückgang der mongolischen Wirtschaftsleistung um rund drei Prozent erwartet.

Um die sozialen Folgen der Pandemieprävention abzumildern, hat die Regierung daher tief in die Staatskasse gegriffen. Im April wurden für sechs Monate die Einkommenssteuer und Sozialabgaben ausgesetzt. Seit Oktober gelten stark reduzierte Sätze. Unternehmen, die auf Stellenabbau verzichten, erhalten finanzielle Unterstützung. Das Kindergeld wird bis mindestens Mitte 2021 mehr als verdreifacht. So werden wenigstens die größten sozialen Härten in einer Gesellschaft abgemildert, in der rund 30 Prozent der Bevölkerung in Armut lebt.

Pandemie aus Alltag der Menschen verschwunden

Doch es gibt auch Kritik. Die Schließung der Grenzen hat viele Mongolen, die prekär beschäftigt und teilweise illegal im Ausland leben, unter oft unwürdigen Bedingungen stranden lassen. Immer noch warten Zehntausende Mongolen in Südkorea, den USA und anderswo auf einen Platz in einem der wenigen Repatriierungsflüge, den sie ebenso wie die anschließende dreiwöchige Quarantäne selbst zahlen müssen. Darüber hinaus warnen Journalisten, dass vom Parlament im Schnellverfahren beschlossene Gesetze gegen die Verbreitung von Falschinformationen über die Pandemiebekämpfung hinaus genutzt werden könnten, um die Pressefreiheit einzuschränken. Und auch die stark gestiegene Staatsverschuldung bereitet Ökonomen Sorgen.

Doch ein Großteil der Bevölkerung trägt die Maßnahmen der Regierung mit. Im Juni 2020 konnten mit einem ausgefeilten Hygienekonzept die regulären Parlamentswahlen inklusive Wahlkampf durchgeführt werden. Die Mongolische Volkspartei gewann 62 der 76 Mandate. Damit wurde zum ersten Mal seit der demokratischen Revolution eine amtierende Regierung im Amt bestätigt. Der Kurs einer konsequenten Pandemiebekämpfung mit flankierenden sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung von Premierminister U. Khurelsukh wird also fortgesetzt.

Bereits in diesem Herbst konnte ein Teil der Ernte der erfolgreichen Präventionspolitik eingefahren werden: Kinder gehen wieder zur Schule, Restaurants, Läden und Fitnessclubs sind gut gefüllt, Popstars und Orchester spielen vor vollen Sälen. Aus dem Alltag der Menschen ist die Pandemie zumindest vorläufig so gut wie verschwunden. Deutschland und Europa sind aus mongolischer Perspektive in diesen Tagen nicht nur geographisch sehr weit weg.

Autor*in
Niels Hegewisch

ist Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Mongolei.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare