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Wie der Nobelpreis den Friedensprozess in Kolumbien beeinflusst

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Präsidenten Juan Manuel Santos unterstreicht die Anerkennung, die der kolumbianische Friedensprozess weltweit genießt. Gleichzeit soll er dazu beitragen, den Prozess zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Ob das gelingt, bleibt jedoch fraglich.
von Thomas Keil · 8. Oktober 2016
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Eine mehr als bewegte Woche in Kolumbien, die mit der überraschenden Ablehnung des Friedensvertrags zwischen kolumbianischer Regierung und FARC-Guerilla begann, endete mit einem weiteren Paukenschlag. Das norwegische Nobelpreiskomitee gab am 7. Oktober bekannt, dass Präsident Juan Manuel Santos den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten wird.

Präsident Santos ist jetzt als Moderator gefragt

Das unter jahrelangen Anstrengungen ausgearbeitete Abkommen und der Friedensprozess als Ganzes stehen nach der Volksabstimmung vom 2. Oktober auf Messers Schneide. Die Ehrung ist deshalb sowohl eine neuerliche Anerkennung für die bisherigen Verhandlungen als auch ein Versuch, die politische Dynamik im Sinne eines Friedensabkommens zu beeinflussen.

Nach der verlorenen Abstimmung hatten viele Beobachter die Möglichkeit bereits verworfen, dass der Preis nach Kolumbien gehen könne. Neben dem Präsidenten waren auch der Chef der FARC, Rodrigo Londoño alias „Timochenko“, sowie einige Opfer des Konflikts für die Auszeichnung im Gespräch gewesen. Geehrt wird nun Santos allein, der nach der bitteren Niederlage die Funktion als oberster Moderator in einer zerstrittenen Gesellschaft erfüllen muss und auf dem ein großer Teil der Verantwortung für die Rettung des Friedensprozesses lastet.

Juan Manuel Santos: Vom Falken zur Taube

Juan Manuel Santos hat weder eine weiße Weste, noch ist er als Pazifist bekannt. Im Gegenteil: Als Verteidigungsminister unter der Regierung von Álvaro Uribe war er einer der Protagonisten einer intensiven Militärkampagne gegen die FARC, in deren Verlauf vonseiten des Staatsapparats Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen begangen wurden. Doch als Präsident hat er sein gesamtes politisches Kapital dafür eingesetzt, ein Ende des Konflikts zu erreichen.

Gerade aufgrund von Santos‘ Vergangenheit steht die Preisvergabe durchaus symbolisch für den kolumbianischen Friedensprozess: Denn die Einigung zwischen Regierung und FARC war kein Treffen friedlicher Idealisten, sondern eine pragmatische Annäherung zweier verfeindeter Seiten. Im Rahmen der Gespräche haben sich die jeweiligen Haltungen verändert: Die Regierung erkannte Fehler und Versäumnisse des Staates an und verpflichtete sich auf eine Reihe struktureller Reformen, mit denen die Konfliktursachen bekämpft werden sollen.

Schwieriger Prozess mit glücklichem Ende?

Gleiches gilt für die FARC, die 2012 mit einem recht unversöhnlichen Diskurs in die Verhandlungen eingestiegen sind und nun bereit sind, die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie zu akzeptieren sowie ihre eigene Schuld einzugestehen. Aus einem schwierigen Prozess ist ein historischer Vertrag und die Hoffnung auf ein gerechteres und inklusiveres Kolumbien hervorgegangen.

Die Erklärung des Nobelpreiskomitees machte deutlich, dass mit dem Friedensnobelpreis auch all diejenigen gewürdigt werden sollen, die auf das Gelingen dieses Prozesses hinarbeiten. Dazu gehören besonders die Opfer des Konflikts, ein Großteil der poltischen Opposition, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Verhandlungsteams beider Seiten. Das war auch die Botschaft des nun geehrten Santos, der den Preis „im Namen aller Kolumbianer und besonders der Opfer des Konflikts“ annahm. Auch bei den Befürwortern des Friedensprozesses im Land, die sonst in Oppostion zur Regierung Santos stehen, kam diese Botschaft der Jury an und wurde positiv aufgenommen.

Die Volksabstimmung stärkt die Bewahrer des Status Quo

Die Nachricht der Verleihung des Friedensnobelpreises erreichte Kolumbien inmitten eines intensiven politischen Tauziehens um die Zukunft des Friedensprozesses. Nach dem Sieg des „Nein“ in der Volksabstimmung vom 2. Oktober ist es nach wie vor unsicher, wie es nun weiter geht. Gestärkt wurden durch die Abstimmung zunächst die politischen Kräfte, die wenig Interesse an Veränderungen des Status Quo haben und Anpassungen des Vertragswerks fordern, die aus Sicht der FARC bislang inakzeptabel waren.

Andererseits gaben die Tage seit der Volksabstimmung auch verschiedentlich Anlass zur Hoffnung: Regierung und FARC halten fest am derzeitigen Waffenstillstand und an vertrauensbildenden Maßnahmen, wie dem Beginn einer humanitären Minenräumung oder der beschleunigten Rückkehr minderjähriger FARC-Mitglieder ins zivile Leben. Zugleich baten sie den UN-Sicherheitsrat darum, der internationalen Mission zur Überwachung des Waffenstillstands trotz der ablehnenden Volksabstimmung ein entsprechendes Mandat zu erteilen. Und die Regierung machte deutlich, dass der momentan bis zum 31. Oktober gültige Waffenstillstand so oft verlängert werden kann, wie der Friedensprozess es erfordert.

Gibt der Nobelpreis den entscheidenden Impuls zum Frieden?

Damit konnte einer der wichtigsten bisher erzielten Fortschritte zunächst konserviert werden und zumindest vorerst die Gefahr von Abspaltungen innerhalb der FARC verringert werden. Am Mittwoch, drei Tage nach dem Plebiszit, fand auch die Zivilgesellschaft ihre Stimme wieder und begann mit Demonstrationen für den Frieden, an denen bislang Zehntausende in verschiedenen Städten des Landes teilnahmen.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Präsident Santos könnte der politischen Konjunktur einen Impuls in Richtung eines konstruktiven und möglichst raschen Auswegs aus der momentanen Situation geben. Aber man sollte sich nichts vormachen: Der Schaden, den der Friedensprozess durch die Ablehnung des Abkommens genommen hat, kann sich immer noch als zu groß erweisen. Wie lange es dauert, bis ein politischer Ausweg aus der jetzigen Situation gefunden werden kann und wie dieser aussehen wird, ist unklar.

Das größte Verdienst des Nobelpreiskomitees

Möglich sind etwa sowohl begrenzte Zugeständnisse an die Gegner des Vertragswerks und relativ rasche Nachverhandlungen, als auch langwierigere Auseinandersetzungen, die sich etwa bis zur Präsidentschaftswahl 2018 hinziehen. Auch eine verfassungsgebende Versammlung war schon im Gespräch, wäre aber erst recht eine langwierige Option.

Dass weiter die Absicht besteht, eine Lösung zu erarbeiten, beteuern alle Beteiligten, auch die Köpfe der „Nein“-Kampagne. Man darf Zweifel daran haben, ob dieser Wille wirklich bei allen vorhanden ist. Doch auch Rhetorik hat reale Konsequenzen und es kann ein Punkt erreicht werden, an dem es sich niemand mehr leisten kann, hinter seine eigenen Worte zurückzufallen. Der Friedensnobelpreis für Santos hilft, an diesen Punkt zu gelangen – und das ist das größte Verdienst des norwegischen Komitees.

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Thomas Keil

arbeitet im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kolumbien.

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