Wie das Ultimatum von Johnson den harten Brexit befeuert
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„Wir sollten uns auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten“, sagt Bernd Lange mit Blick auf die aktuell anstehende Verhandlungsrunde. Der Sozialdemokrat und EU-Außenhandelsexperte ist skeptisch, dass binnen eines Monats noch ein Handelsabkommen mit den Brit*innen zustande kommt. 60 zu 40 Prozent, so stehen seiner Ansicht nach die Chancen dafür, dass im Oktober die Verhandlungen mit Großbritannien ohne Ergebnis beendet werden.
Dann bleibt nur noch der harte Brexit. Das Vereinigte Königreich würde dann von Europa wie jeder andere Drittstaat behandelt werden, es wäre ein Neustart der Handelsbeziehungen. Ohne Abkommen, ohne Handelsverträge, ohne Privilegien oder gemeinsame Standards.
Viele strittige Punkte noch nicht angesprochen
Lange ist vor allem deswegen so skeptisch was die verbleibenden Verhandlungstage angeht, weil über bestimmte Punkte noch gar nicht gesprochen wurde. Dazu gehören besagte Standards ebenso wie die Struktur der künftigen Zusammenarbeit und die Zukunft der Handelsbeziehungen oder Übereinkünfte was die Fischerei in den europäischen Gewässern angeht.
Üblich wäre zu einem solchen Zeitpunkt eigentlich, dass bereits ein gemeinsames Papier vorläge, in dem beide Seiten bereits ihre Vorstellungen reingeschrieben haben, die strittigen Punkte aber eben noch verhandelt werden. „So etwas gibt es momentan noch gar nicht“, erklärt Bernd Lange weiter, „weil es zu manchen Themen auf der britischen Seite noch gar keinen Text gibt.“
Entsprechend verärgert zeigt sich Lange darüber, wie der Britische Premierminister am Montag nun in die neue Verhandlungsrunde eingestiegen ist: „Das ist ein frontaler Schlag.“ Boris Johnson stellte zu Beginn der Woche die völkerrechtliche Einigung der EU über Nordirland in Frage und wollte noch in dieser Woche ein Gesetz vorlegen, das die entsprechende Einigung zunichte machen würde. „Wenn das auf den Tisch kommt, müssen wir die Verhandlungen abbrechen“, sagt Lange. „Das geht an die Grundfeste der Vertragstreue.“
Keine harte Grenze zu Nordirland
Die Beziehungen zu Nordirland sind einer der schwierigsten Punkte in den Brexit-Verhandlungen, denn es geht an der Grenze zwischen Nordirland und Irland nicht nur um die Infrastuktur, sondern auch um politischen Frieden für eine Region, in der es vor wenigen Jahren noch gewalttätige Auseinandersetzungen gab. Eine Mehrheit der nordirischen Bevölkerung hatte außerdem gegen den Brexit gestimmt, seither reißt die Kritik an der Regierung in London nicht ab. Auch um des politischen Friedens willen soll es deswegen keine harte Grenze zur Republik Irland geben, die weiterhin der EU angehört. So wurde es auch in dem bereits ratifizierten Brexit-Vertrag zugesichert – von beiden Seiten.
Außerdem hatte Boris Johnson der EU ein Ultimatum gesetzt: Mitte Oktober sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Dem sieht Lange allerdings gelassen entgegen: „Solche Daten hat er schon öfter gesetzt.“ Allerdings: Auch von EU-Seite drängt die Zeit, denn im Januar scheidet Großbritannien endgültig aus der Tarif- und Zollunion der EU aus. Bis dahin müsste ein Verhandlungsergebnis nicht nur feststehen, sondern auch durch die EU-Institutionen übersetzt und umgesetzt werden. Ansonsten würde es vermutlich ein heilloses Durcheinander in den Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU zum Jahresbeginn. Deshalb hält Lange einen harten Brexit für umso wahrscheinlicher mit jedem Tag, der verstreicht. Er sieht zwar auch auf der europäischen Seite Verhandlungsspielräume in manchen Bereichen, allerdings: „Das setzt aber voraus, dass man in diesen Bereichen miteinander redet. Das war bisher nicht der Fall.“