Wie Bernie Sanders Hillary Clinton herausfordert
Eigentlich dürfte es einen Kandidaten wie Bernie Sanders gar nicht geben. Nüchtern betrachtet spricht alles gegen ihn: Er ist unbekannt, nicht besonders charismatisch und für amerikanische Demokraten nahezu linksradikal in seinen Ansichten. Und: Sanders gehört keiner politischen Partei an, er sitzt als Unabhängiger für den Bundesstaat Vermont im Senat. Trotzdem will der 73-Jährige der nächste US-Präsident werden – unter dem Motto „Ready to start a political revolution?“ kämpft er gegen Hillary Clinton um die Nominierung der demokratischen Partei.
Erfolge in Iowa und New Hampshire
Und dabei stellt der Underdog sich viel besser an als erwartet. Als er am 30. April ankündigte, sich um die demokratische Nominierung zu bewerben, gingen innerhalb der ersten 24 Stunden danach 1,5 Millionen US-Dollar an Spendengeldern ein. Nach drei Tagen waren es schon 3 Millionen. Und das, obwohl Sanders auf die Unterstützung großer Lobbygruppen verzichtet und stattdessen auf Kleinspender setzt. Es gehe ihm darum, so Sanders, eine Graswurzelbewegung zu initiieren. Zum Vergleich: Während Sanders momentan 250 000 Spender zählt, waren es bei Barack Obama 2007 zum gleichen Zeitpunkt der Kampagne erst 180 000.
Wo er auch auftaucht, zieht Sanders große Menschenmengen an. Anfang Juli strömten 10 000 Menschen in ein Stadion in Madison im Bundesstaat Wisconsin, um Sanders reden zu hören. Auch in den Umfragen holt Sanders auf, zumindest in einzelnen Staaten: In New Hampshire liegt er Kopf an Kopf mit Clinton. In Iowa konnte Sanders seinen Rückstand verkürzen und liegt dort nun bei 33 Prozent, Clinton bei 52 Prozent. Das mag nicht nach einem großen Erfolg klingen, aber Iowa spielt für mögliche Präsidentschaftskandidaten eine wichtige Rolle. Hier finden besonders früh Vorwahlen statt und das Ergebnis gilt als Indikator dafür, wer das Rennen um die Kandidatur macht. Für Hillary Clinton ist Iowa immer noch mit einem Trauma verbunden: Bei den Vorwahlen 2008 belegte sie hier hinter Barack Obama und John Edwards nur den dritten Platz – ein Rückschlag, von dem sie sich während der restlichen Vorwahlen nie richtig erholte.
Zweite Amtszeit im Senat
Sanders mag zwar erfolgreicher sein als gedacht, Grund zur ernsthafter Sorge hat das Clinton-Lager aber noch nicht. In den landesweiten Umfragen liegt Hillary Clinton 41 Punkte vor Bernie Sanders. Trotzdem sagte Clintons Kampagnen-Sprecherin Jennifer Palmer, man sei wegen Sanders „besorgt“. Der Nachrichtensender CNN spricht bereits vom „Summer of Sanders“ und die kanadische Musik-Legende Neil Young hat Sanders offiziell erlaubt, seinen Song „Rockin’ in a free world“ für dessen Kampagne zu benutzen. Der Republikaner und schwerreiche Unternehmer Donald Trump hätte seine Anhänger ebenfalls gerne mit dem Song beschallt, kassierte von Young aber eine Absage.
Er ist ein Phänomen, dieser Bertie Sanders. Aber auch wenn ein Großteil der Amerikaner gerade zum ersten Mal von ihm hört: Sanders blickt auf eine lange, politische Karriere zurück. Bernard „Bernie“ Sanders wurde 1941 als Sohn jüdischer Eltern in New York City geboren. Sein Vater war ein Einwanderer aus Polen. Der junge Bernie Sanders engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung, machte einen Abschluss in Politikwissenschaft. 1971 trat er in die sozialistische Liberty Union Party ein, entschied sich später aber dazu, als Unabhängiger für verschiedene Ämter zu kandidieren. 1981 wurde Sanders Bürgermeister von Burlington (Vermont), 1990 der erste unabhängige Abgeordnete im Repräsentantenhaus der USA seit 40 Jahren. Seit 2007 sitzt Sanders für Vermont im Senat, es ist seine zweite Amtszeit.
Sanders’ Themen im Wahlkampf
Was seine politischen Überzeugungen betrifft, ist Bernie Sanders sich stets treu geblieben. Anders als seine Konkurrentin Clinton stimmte er im Kongress 2003 gegen den Militäreinsatz im Irak und ist ein Kritiker des Patriot Act. Dieser wurde 2001 im Zuge des Krieges gegen den Terrorismus verabschiedet und schränkt die amerikanischen Bürgerrechte ein. 2010 hielt Sanders vor dem Senat eine sogenannte „Filibuster“-Rede – achteinhalb Stunden lang ohne Pause. Anlass war ein Kompromiss der Obama-Regierung mit den Republikanern, die unter George W. Bush eingeführten Steuerkürzungen für sehr hohe Einkommen zu behalten. Sanders kritisierte den Kompromiss und schlug einen großen Bogen zum Thema Gerechtigkeit. Das Video der Rede wurde online ein Hit, ist heute legendär und als Buch erhältlich (The Speech: A Historic Filibuster on Corporate Greed and the Decline of Our Middle Class).
Im Nominierungs-Wahlkampf liegt Bernie Sanders’ Fokus auf drei Themen:
- Sanders will die Einkommens- und Vermögensungleichheit bekämpfen: Während die Reichen immer reicher würden, arbeite die Mittelklasse immer mehr für immer weniger Geld.
- Er kritisiert den Einfluss von großen Unternehmen in der Politik: Millionäre könnten sich ihre Kandidaten kaufen, von großen Öl- und Pharmaunternehmen sowie der Wall Street ströme seit Jahren Geld in das politische System.
- Den Klimawandel sieht Sanders als dringendes Problem.
Sozialdemokrat europäischer Prägung
Außerdem setzt Sanders sich für allgemeine Gesundheitsvorsorge sowie bezahlte Elternauszeiten und Krankheitsurlaub ein. In den USA gilt Bernie Sanders mit diesem politischen Programm als radikal links, als anti-Establishment. Republikaner nennen ihn einen „Sozialisten“ – und Sozialismus wird in den USA immer noch oft mit Kommunismus und der ehemaligen Sowjetunion gleichgesetzt. Sanders aber bleibt entspannt. Dem amerikanischen Magazin The Nation sagte er: „Ich habe keine Angst vor dem Wort.“ Er selbst versteht sich vielmehr als Sozialdemokrat europäischer Prägung, bewundert die Sozialpolitik der skandinavischen Länder. Von der, glaubt Sanders, könnten die USA sich durchaus eine Scheibe abschneiden.
Im Mainstream der demokratischen Partei finden Sanders’ Ideen nicht viel Anklang, man unterstützt Hillary Clinton. Die hat nun das Problem, sich nicht allzu scharf von dem Senator aus Vermont abgrenzen zu können: Für ihren aktuellen Wahlkampf hat Clinton einen Schwenk nach links gemacht, setzt auf Sozialpolitik. Sie kann Sanders, der weiter links steht als sie, schlecht kritisieren, ohne selbst an Ansehen unter linken Demokraten zu verlieren. Denn im Prinzip verkörpert Hillary Clinton alles, was der linke Flügel ihrer Partei verachtet: Seit dem Vietnam-Krieg hat Clinton jeden amerikanischen Krieg unterstützt, sie hat Kürzungen der Sozialausgaben mitgetragen und war in Sachen Strafrecht immer dafür, mehr Menschen für einen längeren Zeitpunkt hinter Gitter zu bringen. Hinzu kommt die Affäre um Clintons E-Mails, die sie während ihrer Zeit als US-Außenministerin von einer privaten Adresse sendete. Hillary Clinton ist außerdem sehr reich und hat Verbindungen zu einflussreichen Unternehmen, was sie in den Augen vieler Linker diskreditiert.
Utopisch und teuer
Wird Bernie Sanders Hillary Clinton also bei den Vorwahlen schlagen, vielleicht sogar der nächste US-Präsident werden? Unwahrscheinlich. Viele von Sanders’ politischen Ideen sind utopisch und teuer, er vertritt einen unbedeutenden Bundesstaat und spricht vor allem eine weiße Wählerschaft an. Aber der Underdog Sanders macht die Favoritin Clinton zu einer besseren Kandidatin: Durch ihn und seine unverblümten Aussagen ist sie gezwungen, zu bestimmten Themen klar Stellung zu beziehen, eigene Positionen zu überdenken – und vielleicht sogar zu revidieren.