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Welche Zukunft hat die Labour-Partei unter Jeremy Corbyn?

Jeremy Corbyn bleibt Vorsitzender der britischen Labour-Partei. Die parteiinternen Gefechte zwischen dem Corbyn-Lager und seinen Gegnern sind damit aber keineswegs beendet. Kann Labour so im bevorstehenden Wahlkampf erfolgreich sein?
von Ulrich Storck · 30. September 2016
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Zum Auftakt des Parteitags in Liverpool stand es fest: Jeremy Corbyn wird – wie bereits erwartet – weiter die britische Labour-Partei führen. Mit 62 Prozent der Stimmen bei der Urwahl konnte er sogar noch drei Punkte gegenüber seinem Vorjahres-Ergebnis zulegen als er zum ersten Mal den Parteivorsitz übernahm und kann sich auf das solideste Mandat aller seitherigen Parteiführer stützen. Die parteiinternen Gefechte zwischen dem Corbyn-Lager und seinen Gegnern – vornehmlich in der Parlamentsfraktion auszumachen – sind damit keineswegs beendet.

Labour ist eine gespaltene Partei

Die Stimmung in Liverpool war angespannt. Gerüchte über Pläne des einen Lagers im Kampf gegen das jeweils andere prägten die Medienberichte mehr als die politischen Inhalte der Debatten. Es wurde der seit Monaten herrschende Eindruck bestätigt, dass sich Labour vornehmlich mit sich selbst beschäftigt. Die Option einer Spaltung in zwei Parteien besteht gleichwohl kaum, aufgrund des britischen Wählrechts wäre dies die Besiegelung des Untergangs: Die Spaltung vollzieht sich vielmehr im Inneren der Partei.

So wurden in Liverpool eigentlich zwei parallele Parteitage abgehalten: Die „moderaten“ Corbyn-Gegner tagten unter sich, in eigenen Lounges, bei eigenen Veranstaltungen und Empfängen. Unweit davon hatte „Momentum“, die mächtige Aktivisten-Gruppe der Corbyn-Kampagne, ihre Klientel zu eigenen Veranstaltungen geladen.

Heftige Kämpfe hinter den Kulissen

Im Plenarsaal beschworen zwar Corbyn selbst und alle wichtigen Redner die Einheit der Partei und forderten ein Ende der Feindseligkeiten, hinter den Kulissen wurde jedoch erbittert weitergefochten. Bereits im Vorfeld des Parteitages wurde um ein Friedensangebot Corbyns an seine Gegner gerungen, war doch sein Wahlsieg absehbar. Parteivize Watson schlug vor, der Parlamentsfraktion die Wahl des Schattenkabinetts zu überlassen – um den abtrünnigen MPs eine gesichtswahrende Brücke zu bauen, in Corbyns Team zurückzukehren.

Um mögliche Wahl-Modalitäten wurde im Hintergrund des Parteitags heftig gestritten, der alte und neue Parteichef griff den Vorschlag jedoch bislang nicht auf. Er gibt sich optimistisch, die insgesamt 60 Vakanzen in seinem Schatten-Kabinett auch ohne einen solchen Kompromiss besetzen zu können, der voraussehbar vielen seiner Gegner ins Kabinett verhelfen würde.

Corbyns Gegner bangen um ihre Zukunft im Parlament

Es ist viel Porzellan zerschlagen worden im offenen „Bürgerkrieg“ der letzten Monate zwischen den Anhängern Corbyns und seinen Gegnern. Auch wenn Corbyn nun die Aussöhnung der Partei proklamiert und die opponierenden Abgeordneten zur Mitarbeit im Kampf gegen den politischen Gegner auffordert, stehen neben politischen gerade auch persönliche Anfeindungen zwischen den gegnerischen Gruppen. Den Corbyn-feindlichen Abgeordneten wurde angedroht, die im Kontext des Neuzuschnitts der Wahlkreise notwendigen Nachwahlen dazu zu nutzen, sie ihres Mandats zu entheben und durch MPs aus dem Corbyn-Lager zu ersetzen. Nach Corbyns Wiederwahl wartete man auf die Rücknahme dieser Drohung als versöhnliches Zeichen in die Fraktion. Seither hat er sich dazu nicht klar geäußert, sodass etliche Corbyn-Gegner um ihre Zukunft im Parlament bangen.

Die vormals wichtigsten Figuren des Schattenkabinetts, die Corbyn im Juni ihr Misstrauen aussprachen, legten sich sofort nach seiner Wiederwahl fest, weiterhin gegen ihn zu arbeiten. Ihr Plan ist es jetzt, wichtige Positionen im Parlament wie den Vorsitz zentraler Ausschüsse einzunehmen, um von dort aus Politik zu gestalten – durchaus gegen die eigene Parteiführung. Zudem formieren sich in der Fraktion mehrere Gruppen, in denen Abgeordnete zukünftig mit alternativen Politikentwürfen die Parteiführung kontrastieren wollen.

Labours Linksruck macht die Partei für viele unwählbar

Der Zuwachs an Parteimitgliedern unter Corbyn auf mehr als eine halbe Million ist beeindruckend und beflügelt seine Anhänger, alleine mit diesen Stimmen wird Labour allerdings keine Wahl gewinnen. Für einen Wahlsieg müsste die Partei alle ihre Sitze halten und noch weitere 100 dazugewinnen. In diesen Wahlkreisen gingen die Stimmen bei der letzten Wahl vornehmlich an die konservativen Tories, es handelt sich um Stimmen einer eher konservativ denkenden, aufstrebenden Mittelschicht, die Labour unter dem Vorsitzenden Miliband die wirtschaftliche Kompetenz absprach. Der Linksruck unter Corbyn dürfte bei diesen Wählerschichten die Partei noch weniger wählbar machen als zuvor.

Labour muss jedoch auch um seine Stammwähler bangen: Mehr als ein Drittel der Labour-Wähler entschied sich im Frühjahr für den Brexit und damit gegen die europafreundliche Linie der Parteispitze. Wichtigstes Argument für die Brexit-Wähler ist die Kontrolle und Beschränkung der Immigration. Labour entwickelte seither keine eigenen Vorstellungen für den Brexit, in Liverpool rangierte die wichtigste Zukunftsfrage des Landes nicht unter den acht offiziellen Debattenthemen des Parteitags. Corbyn sprach sich gegen die Beschränkung von Einwanderung aus und zeigt damit wenig Verständnis für die Stimmung in diesen Wählergruppen. Die Partei muss fürchten, dass sie sich nach einer neuen politischen Heimat umschauen, in der ihre Besorgnisse ernst genommen werden.

Das Corbyn-Lager setzt auf die Jungen und die Frauen

Allseits wird mit einer vorgezogenen Parlamentswahl im kommenden Jahr gerechnet und Corbyn rief seine Partei dazu auf, sich darauf vorzubereiten. Sein Lager sieht Zuwachspotential bei jungen und weiblichen Nichtwähler sowie bei den enttäuschten, abgehängten Industriearbeiterschichten, die aus Protest UKIP wählten. Alle Analysen gehen jedoch davon aus, dass gerade angesichts des britischen Wahlsystems diese Gruppen Labour keine Mehrheit verschaffen können.

Sowohl der Finanzminister McDonnell als auch Corbyn selbst haben auf diesem Parteitag ihre Politik des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ konkretisiert. Sie baut vornehmlich auf einen interventionistischen Staat, der über eine nationale Investitionsbank massiv Geld (500 Milliarden Pfund) in die Infrastruktur des Landes pumpen soll. Die damit einhergehende Neuverschuldung ist nach Corbyns Ansicht in Anbetracht der niedrigen Zinsen tragbar und amortisiert sich langfristig durch Wachstum. Weiterhin soll der Mindestlohn kräftig angehoben werden und die Steuern für Reiche und Unternehmen steigen. Die Bahn soll wieder nationalisiert werden, weiterhin stehen sozialer Wohnungsbau und Investitionen ins Bildungssystem auf der Agenda. Corbyns Gegner bezweifeln die ökonomische Machbarkeit dieser umfassenden Versprechungen. Kritiker, die bei der Linken stets ihre wirtschaftliche und fiskale Disziplin vermissen, dürften sich durch dieses Programm bestätigt fühlen.

Autor*in
Ulrich Storck

leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen.

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