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Welche Hoffnung auf dem EU-Afrika-Gipfel ruht

In dieser Woche steigt der EU-Afrika-Gipfel. Warum er entscheidend für die künftige Partnerschaft der beiden Kontinente sein könnte, erklärt der entwicklungspolitische Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament Udo Bullmann.
von Jonas Jordan · 11. Februar 2022
Udo Bullmann ist entwicklungspolitischer Sprecher der S&D-Fraktion im Europaparlament.
Udo Bullmann ist entwicklungspolitischer Sprecher der S&D-Fraktion im Europaparlament.

Die Zahl der Menschen in Armut steigt seit Beginn der Corona-Pandemie wieder, weniger als zehn Prozent der Bevölkerung in Afrika ist vollständig gegen Covid-19 geimpft. Dazu Konflikte wie in Mali, Burkina Faso und Äthiopien. Wie viele Sorgen machen Sie sich vor dem EU-Afrika-Gipfel?

Große Sorgen. Viele Gesellschaften sind durch Corona um zehn Jahre zurückgeworfen worden. Wir haben nach wie vor akuten Mangel an Impfstoffen. In bevölkerungsreichen Ländern Afrikas wie Nigeria oder Äthiopien sind noch deutlich weniger als zehn Prozent gegen Corona geimpft. Bei einer globalen Pandemie sind wir nur geschützt, wenn alle vollständig geschützt sind. Denn wir wissen nicht, was nach Omikron kommt. Jeder Pandemieherd, der noch existiert, kann die Ursache sein für eine neue, noch gefährlichere Mutation. Diese Gesundheitskrise können wir nur überwinden, wenn wir unsere Zusagen an die Länder des Globalen Südens einhalten. 900 Millionen Impfstoffdosen und mehr müssen bis zum Sommer geliefert werden, um die Ziele zu erreichen. Notwendige Versorgungswege müssen aufgebaut werden, um die Versorgung mit Impfstoffen – nicht nur gegen Corona ­– zu verbessern. Wir brauchen eine globale Gesundheitsinfrastruktur, auf die man sich verlassen kann.

Und wie schauen Sie auf die wirtschaftliche Situation?

Die ökonomische Krise wird dadurch befeuert, dass es kaum offiziell geregelte Arbeitsverhältnisse gibt, derüberwiegende Teil ist informell. Wenn die Menschen wegen Corona nicht zur Arbeit gehen können, kommen viele Familien schnell an ihre finanziellen Belastungsgrenzen. Dann gibt es Hunger, Not und Unterversorgung. Im Osten und Südosten Afrikas drohen bereits Hungerkatastrophen. Im Westen Afrikas hat es eine Serie von Militärputschen gegeben, zuletzt in Burkina Faso. Hier geht es darum, den Weg zur Demokratie zurückzufinden und die breite Bevölkerung beim Wiederaufbau ökonomisch und sozial zu unterstützen.

Fünf Putsche allein in den vergangenen zwei Jahren – droht Afrika der Rückfall in die 1970er-Jahre?

Demokratische Strukturen brauchen eine entsprechende soziale und ökonomische Basis. Zusätzlich leiden die Länder der Sahelzone akut unter der Gewalt islamistischer Terrororganisationen. Vieles wird dadurch noch fragiler und es reicht nicht, nur militärische Antworten geben zu wollen. Nötig ist eine ganzheitliche Strategie, die den Menschen Sicherheit und Perspektive gibt. Sonst werden Interventionen, insbesondere von ehemaligen Kolonialmächten wie Frankreich, als Fremdherrschaft wahrgenommen. Russische Privatarmeen füllen die Lücken, die der Westen lässt. Mit Blick auf den EU-Afrika-Gipfel sprechen daher viele von einer „make-or-break“-Situation.

Welches Signal erhoffen Sie sich?

Wenn wir die nötige sozial-ökologische Revolution hin zu einer nachhaltigen Welt schaffen wollen, brauchen wir eine gemeinsame Vision und neue Allianzen. In Afrika leben 1,3 Milliarden Menschen, 2050 werden es doppelt so viele sein. Es ist ein extrem junger Kontinent und gerade die jungen Menschen wollen eine Aufgabe, eine Perspektive sehen, statt die gefährliche Flucht über das Mittelmeer als einzigen Ausweg zu haben und dabei im Mittelmeer zu ertrinken. Die vielen jungen Menschen wollen ein gestaltender Teil ihrer Gesellschaften sein und wir müssen dabei helfen, eine solche Perspektive schaffen.

Wie könnte das passieren?

Afrika hat enorme Potenziale, in der Landwirtschaft, in der Energieerzeugung wie in der industriellen Verarbeitung. Afrika kann zu einem äußerst dynamischen Kontinent werden, wenn regionale Wirtschaftsbeziehungen, nachhaltige Liefer- und Wertschöpfungsketten gestärkt und für breite Bevölkerungskreise erschlossen werden. Digitalisierung und ein grenzüberschreitender Binnenmarkt sind dafür zentrale Vorhaben. Europa kann helfen, indem wir auf gute Arbeitsstandards achten, Kinderarbeit ächten und unsere Entwicklungs- und Handelspolitik an den Zielen von Nachhaltigkeit und sozialem Zusammenhalt ausrichten. Dann gibt es unendlich viele Chancen produktiver Zusammenarbeit.

Welche finanziellen Möglichkeiten besitzt die EU dafür?

Durch das neue Finanzinstrument der EU „Global Europe“ und die engere Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten stehen in den nächsten Jahren mehr als 100 Milliarden Euro für die Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden zur Verfügung. Mit der „Global-Gateway-Initiative“ der EU-Kommission sollen zusätzlich private Mittel mobilisiert werden. Den afrikanischen Ländern fehlen jedoch jährlich 100 Milliarden Euro, um ihre Infrastruktur nachhaltig auszubauen. Deshalb gilt es, mit einer Konzentration auf Bildung und Gesundheit, Infrastruktur und soziale Sicherungssysteme die Voraussetzungen für eine sich selbsttragende Entwicklung auch im Hinblick auf das Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele 2030 zu stärken. Der Kampf gegen Ungleichheit muss dabei in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn nur in Gesellschaften, die breite Chancen eröffnen und solidarisch sind, kann man auch eine neue, nachhaltige Wirtschaft aufbauen. Genau diese Logik haben wir auch ins Zukunftsprogramm der SPD geschrieben und im Koalitionsvertrag verankert. Sie trifft ebenso auf die Transformationsprozesse im Globalen Süden zu.

Wie wichtig ist es, dass das Entwicklungsministerium in Deutschland nach zwölf Jahren wieder von einer Sozialdemokratin geführt wird?

Ich kann gar nicht beschreiben, wie das in Europa gefeiert worden ist. Ich weiß, wie froh zum Beispiel die zuständige EU-Kommissarin Jutta Urpilainen war, dass wir weiter ein eigenständiges Entwicklungsministerium haben und dass eine Sozialdemokratin Ministerin geworden ist.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat jüngst gemahnt, Afrika dürfe nicht zur Resterampe für abgelaufene Impfstoffe werden, und angekündigt, die Impfstoffproduktion beispielsweise im Senegal zu unterstützen. Wie kann die EU dabei unterstützen?

Wir hatten in unserer Afrika-Woche eine spannende Unterhaltung mit einer nigerianischen Ärztin, Ayoade Alakija, die eine führende Rolle bei der WHO-Impfkampagne hat. Sie hat unterstrichen, dass es genau darum geht, durch technologische Zusammenarbeit moderne Impfstoffproduktion in Ländern wie Senegal, Ruanda und Südafrika aufzubauen. Wissenstransfer und Ausbildungspartnerschaften müssen hinzutreten, um eine breite Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Die Afrikanische Union wird in diesem Jahr 20. Ist das ein Grund zum Feiern?

Wenn wir mit jungen Menschen ins Gespräch kommen, sagen sie uns immer: „Helft uns, Klartext zu reden über die Verhältnisse in Afrika! Nur wenn wir Korruption und Unterdrückung bekämpfen, dafür sorgen, dass die Presse frei berichten kann und dass man auch leben kann entlang seiner eigenen Vorstellungen, wird es hier vorangehen.” Das zu befördern ist dringend erforderlich, aber nicht durch eine lehrmeisterhafte Haltung. Davon hat der afrikanische Kontinent durch die westliche Welt genug erfahren.  Das Projekt der Afrikanischen Union sollte gestärkt werden, hier kann gemeinsame Verantwortung wachsen, auch im Sinne der Stärkung liberaler Demokratie.

Jüngst kam die Forderung der Afrikanischen Union nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat auf. Unterstützen Sie das?

Wir müssen alles tun, um Multilateralität zu stärken. Afrika ist der Europäischen Union ein starker Partner bei den Vereinten Nationen, weil wir bestimmte Dinge nur mit der Unterstützung Afrikas in die richtige Richtung entwickeln können, zum Beispiel mit Blick auf die UN-Nachhaltigkeitsziele oder das Pariser Klimaabkommen. Wir müssen Afrika gleichzeitig bitten, noch stärker zu einer gemeinsamen Position und Stimme zu finden. Das muss auch dazu führen, dass Konflikte wie im Südsudan oder Äthiopien eingehegt und möglichst friedlich beendet werden. Je stärker die Afrikanische Union dazu beiträgt, desto lauter kann ein solcher Ruf unterstützt werden.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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