Weichensteller für Freiheit und Frieden
Am Donnerstag ist Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren gestorben. Als "Vorbild für Freiheit, Gerechtigkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung“, würdigt ihn SPD-Chef Sigmar Gabriel. Jahrzehntelang saß Mandela für seinen Widerstand gegen die Apartheid im Gefängnis – und blieb dennoch ungebrochen. Ein Nachruf von Heidemarie Wieczorek-Zeul
Mit Nelson Mandelas Tod haben wir alle einen unersetzlichen Verlust erlitten. Mit seinem unermüdlichen und selbstlosen Einsatz gegen Unrecht und für eine bessere Welt ist er bleibendes Vorbild für viele Generationen in der ganzen Welt.
Als Nelson Mandela am 11. Juni 1990 auf Willy Brandts Einladung hin vor dem SPD-Gebäude in Bonn sprach, begrüßte ihn Willy Brandt mit folgenden Worten: „Wer 27 Jahre lang nicht frei über sein Leben verfügt, und dann aus dem Gefängnis kommt, hätte ein Recht darauf, verbittert zu sein oder wenigstens müde und des Kampfes überdrüssig. Aber hier ist einer gekommen ohne Hass, ohne Feindschaft, ohne das Bedürfnis nach Rache, sondern mit dem Wunsch, den Teufelskreis von Unterdrückung und Gewalt zu durchbrechen und ein vom Rassenwahn zerrissenes blutendes Land zusammenzuführen und heilen zu helfen. Was Nelson Mandela zu einem Idol für uns und die Jugend überall in der Welt werden ließ.“
Symbol der Befreiung
Der Philosoph Ernst Bloch schrieb in seinem Prinzip Hoffnung: „Der Welt-Prozess ist noch nirgends gewonnen, doch freilich auch noch nirgends vereitelt, und die Menschen können die Weichensteller seines Prozesses sein.“ Nelson Mandela war ein solcher Weichensteller. Er wurde schon in den finsteren Zeiten der Apartheid aus dem Gefängnis heraus auf Robben Island zu einem unerschütterlichen Symbol der Befreiung. Mir bleibt die Botschaft vom Februar 1985 an das südafrikanische Volk unvergesslich, die seine Antwort auf das Angebot des damaligen Staatspräsidenten Botha enthielt, ihn freizulassen – wenn er darauf verzichte sich politisch zu betätigen: „I am not less life-loving than you are. But I cannot sell my birthright, nor am I prepared to sell the birthright."
Kämpfer gegen Apartheid
Ich erinnere mich noch gut daran, wie sich im Frühjahr 1985 alle Europa-Abgeordneten der SPD morgens vor der Südafrikanischen Botschaft in Bonn gemeinsam mit den Mitgliedern der deutschen Anti-Apartheidbewegung versammelten. Darunter waren auch die evangelischen Frauen mit ihren einfallsreichen und über viele Jahre durchgehaltenen Aktionen wie dem Aufruf zum Boykott der Früchte der Apartheid. Das Botschaftsgebäude war verschlossen, aber noch nicht bewacht. Vergeblich versuchten wir, unsere Petition zur Freilassung Nelson Mandelas und aller zu lebenslanger Haft verurteilten ANC-Mitglieder offiziell zu überreichen. So standen wir in einem großen Kreis im Hof, sangen gemeinsam: „We shall overcome“, als eine starke Polizeitruppe anrückte, zum Schutz der internationalen Bannmeile um das Botschaftsgebäude. Es bedurfte der ruhigen Autorität Heinz Oskar Vetters, der einer unserer EU-Abgeordneten war, um die Polizeibeamten gegen uns zurückzuhalten.
Nelson Mandela siegte im Kampf gegen die Apartheid, einem menschenverachtenden durchorganisierten System, das der Mehrheit des eigenen Volkes aus Gründen ihrer Rassenzugehörigkeit seine Bürgerrechte nahm. Es grenzt an ein Wunder, dass trotz dieser brutalen Unterdrückung die Freiheitsbewegung, geleitet durch den Afrikanischen Nationalkongress ANC, durch Kirchen und Gewerkschaften ihre einigende Kraft erhielt und damit den Weg in die Demokratie und Weltgeltung fand. Ohne Nelson Mandelas klare Orientierung wäre dies niemals gelungen. Der ANC und Südafrika wären heute nichts ohne ihn. Aber der ANC muss sich heute auf seine wirklichen Aufgaben besinnen, wenn er Nelson Mandelas Lehren beherzigen will.
Mandelas AIDS-Stiftung
Ich habe Nelson Mandela als Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung viele Male persönlich treffen dürfen. Zum ersten Mal 1998. Es gab ein Gespräch unter vier Augen von etwa einer Stunde Länge, die mir viel zu kurz erschien. Mandelas Zeit als Staatspräsident lag hinter ihm, der achtzigjährige Friedensnobelpreisträger war nur noch „Privatmann“. Doch darauf kam es nicht an, er strahlte einfach die Autorität und Würde aus, die ihn ungebrochen auszeichnete.
Während unseres ersten Gesprächs verständigten wir uns vor allem über die Möglichkeiten, die wir, die deutsche Bundesregierung und die Ausnahmefigur Nelson Mandela, hatten, um Afrika zu helfen. In diesem Jahr 1998 hatte Mandela seine AIDS-Stiftung ins Leben gerufen, die AIDS Foundation of South Africa. Ich habe sie von Anfang an unterstützt. Seine Stiftung war angesichts der damals ineffektiven AIDS-Politik der Republik Südafrika wichtig – und dies im Land mit den meisten AIDS-Kranken.
Sein Traum von Demokratie
Nelson Mandelas Traum war, so sagte er, dass alle afrikanischen Kinder zur Schule gingen. Es existiere keine Entschuldigung dafür, wenn wir es versäumten, für alle afrikanischen Kinder ein Umfeld zu schaffen, in dem sie ihre Fähigkeiten entfalten könnten. Wir unterstützten über die Nelson Mandela Stiftung und UNICEF den Bau von Schulen. Und durch den multilateralen Schuldenerlass, den wir in den Jahren 1999 und 2000 für die ärmsten Entwicklungsländer in Gang setzten, konnten jedenfalls 37 Millionen Kinder in Afrika zusätzlich zur Schule gehen.
Mandela zeigte sich optimistisch. Er sagte, seiner Ansicht nach seien die Tage der Eigennützigen und Korrupten gezählt. Es mache ihm Mut, dass die Demokratisierung Afrikas voranschreite und es ein neues Interesse an guter Regierungsführung und ethisch verantwortungsbewussten Führern gebe. Er glaubte trotz aller dagegen sprechenden Erfahrungen an das Gute im Menschen. „Wenn man sein Herz berührt, ist jeder fähig, sich zu verändern“, sagte Nelson Mandela einmal. Lernen wir daraus!
war von 1974 bis 1977 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jusos und von 1998 bis 2009 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied im Vorstand des Willy-Brandt-Kreises.