Was von der Syrien-Konferenz in Istanbul zu erwarten ist
Dem türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gelingt es seit Wochen, durch immer neue Enthüllungen über den Mord am saudischen Journalisten Jemal Khashoggi die internationale Öffentlichkeit zu erstaunen. Damit führt Erdoğan das saudische Königshaus vor, hat aber auch die internationalen Beziehungen neu aufgemischt. Das starke Bündnis zwischen den USA und Saudi-Arabien ist ins Wanken geraten, zugleich nähern sich die Türkei und die EU wieder an.
Erdoğan will aus der Isolation kommen
Kein Zufall, dass sich gerade jetzt die Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Türkei auf Einladung Erdoğans zu einem Syrien-Gipfel in Istanbul treffen. Diese Viererkonstellation ist neu und bietet für Erdoğan die Chance, auf internationalem Parkett zu glänzen und neue Allianzen zu schmieden. Für den jahrelang außenpolitisch isolierten Erdoğan ein erfolgversprechender Kurs.
Fraglicher ist jedoch, ob die Konferenz am Samstag auch Erfolge für das bürgerkriegsgeplagte Syrien bringen. Auf der Tagesordnung steht vor allem das Thema Idlib. Die Provinz in Nordsyrien nahe der türkischen Grenze gilt als letzter Zufluchtsort für über 60.000 syrische Rebellen, viele von ihnen radikale Islamisten.
Hält der Waffenstillstand in Idlib?
Das Assad-Regime wollte die Provinz Idlib Anfang September bombardieren, doch Erdoğan gelang es mit Hilfe Russlands und dem Iran, dort eine Waffenruhe auszuhandeln. Das ließ auch die EU aufatmen – fürchtete man doch eine riesige Flüchtlingswelle und einen Zustrom von Dschihadisten erst in die Türkei und dann nach Europa. Darum sind auch Angela Merkel und Emmanuel Macron daran interessiert, dass die Waffenruhe weiter hält.
Die Türkei hat sich als Bedingung für die Waffenruhe bereiterklärt, die Rebellen in Idlib zu entwaffnen. Doch das ist eine Mammut-Aufgabe, glaubt der Istanbuler Politologe Murat Somer: „Daher versucht die Türkei mit dem Syrien-Gipfel beim Thema Idlib Zeit schinden.“ Zusätzlich baut die Türkei seit einigen Jahren eine gigantische Mauer an ihrer Grenze zu Syrien. Eine Maßnahme, die zwar kurzfristig Flüchtlinge abhält, das Sicherheitsproblem aber keineswegs dauerhaft löst, betont Somer.
Türkei will Nordsyrien dauerhaft kontrollieren
Zugleich darf nicht vergessen werden: Die Türkei träumt in Idlib von einer dauerhaften Militärpräsenz, ähnlich wie im benachbarten Afrin, dass sie Anfang des Jahres durch einen völkerrechtswidrigen Einmarsch eroberte. In einem geteilten Syrien – und dahin steuert wohl die Nachkriegsordnung des Landes – will die Türkei den Norden des Landes kontrollieren.
Der Assad-Verbündete Russland steht mit der Türkei beim Thema Syrien in stetigem Kontakt – auch wenn beide Länder oft gegensätzliche Ziele verfolgen. Putin ist sich bewusst, dass er Erdoğan mit seiner Allianz von den USA entfernt, und erklärt sich deshalb zu Kompromissen in Syrien bereit. Beim Gipfel in Istanbul scheint Erdoğan nun als Mittler zwischen Russland und dem Westen auftreten zu wollen. Zugleich hoffe er, dass die Teilnahme von Macron und Merkel ihm gegenüber Putin den Rücken stärke, glaubt Politologe Somer.
USA und Iran sind nicht in Istanbul
Die USA und der Iran sind am Samstag nicht dabei, obwohl sie zu den großen Akteuren in Syrien gehören. Allerdings telefonierten Macron und US-Präsident Trump am Donnerstag miteinander. Der Élyséepalast ließ anschließend mitteilen: "Die Vereinigten Staaten und Frankreich teilen dieselben sicherheitsbezogenen, humanitären und politischen Ziele in Syrien." Macron werde die Interessen der USA beim Gipfel vertreten, vor allem die Einhaltung der Waffenruhe in Idlib. So sitzen die USA indirekt doch mit am Verhandlungstisch.
Während bezüglich Idlib zumindest momentan Einigung herrscht, schwillt im Hintergrund ein weit kontroverseres Thema: die Kurdenfrage. Die kurdengeführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) kontrollieren in Syrien mit Unterstützung der USA das Gebiet östlich des Euphrat. Dort liegen auch die wichtigen Öl- und Gasvorkommen des Landes. Ankara ist das ein Dorn im Auge und wird nicht müde, die Kurden in Syrien als größte Bedrohung zu bezeichnen.
Die kurdische Frage treibt Ankara um
Tatsächlich unterhält der militärische Arm der SDF Beziehungen zur türkischen Terrororganisation PKK, bekämpfte aber auch sehr erfolgreich den IS und sorgt in den von ihnen kontrollierten Gebieten für relative Stabilität. Im Sommer trafen sich Vertreter der SDF zum ersten Mal mit Vertretern des Assad-Regimes und forderten, dass dieses ihnen ihre De-Facto-Autonomie auch formell zusichere. Für Ankara wäre das ein Horror-Szenario, und so versucht die Türkei seit Jahren den Westen von der Gefahr der syrisch-kurdischen Kräfte zu überzeugen. Mit mäßigem Erfolg.
Die Bundesregierung hält sich bei diesen Themen zurück. Sie will sich eher auf die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Landes konzentrieren. Ein militärisches Eingreifen in Syrien schloss die SPD aus völkerrechtlichen Gründen schon im September kategorisch aus. "Die SPD wird weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen“, erklärte SPD-Chefin Andrea Nahles. Sollte es doch zu einer Offensive Syriens in Idlib kommen, würde man aber humanitäre Hilfe leisten, versprach Außenminister Heiko Maas Anfang Oktober. Als Geldgeber für den syrischen Wiederaufbau sind Deutschland und Frankreich sehr willkommen, Russland oder der Iran wollen diesen Part nicht übernehmen, meinen Nahost-Experten.
Gespräche sind ein Fortschritt
Wiederaufbau, Stabilität, Friedensprozess – angesichts der weiterhin chaotischen Lage in Syrien sind das auch siebeneinhalb Jahre nach Ausbruch des Krieges noch immer ferne Ziele. Vom Syriengipfel am Samstag dürfe man sich daher keine großen Fortschritte erhoffen, so Politologe Somer: „Auf diesem Gipfel wird man sich eher beraten und keine Entscheidungen treffen. Aber es ist immerhin ein Fortschritt, dass sich diese vier Länder an einen Tisch setzen.“
arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.