International

Was hinter dem Streit zwischen der EU und Polen steckt

Im Streit zwischen der Europäischen Kommission und der polnischen Regierung um die Lage der Rechtstaatlichkeit und der Demokratie gibt es zunächst keine Einigung. Nun wird die Kommission eine offizielle Stellungnahme nach Warschau schicken. Eskaliert die Lage?
von Sylvia-Yvonne Kaufmann · 1. Juni 2016
placeholder

Seit ihrer Wahl im Oktober 2015 sorgt die polnische Regierungspartei PiS durch zahlreiche Reformen für erhebliche Bedenken hinsichtlich der Einhaltung von Rechtstaatlichkeit und Demokratie. Im Fokus steht dabei vor allem das polnische Verfassungsgericht. Mit ihrer jüngsten Reform schwächte die polnische Regierung nicht nur das Gericht, sondern baute auch ihren Einfluss auf die Institution aus.

Schwere Verfassungskrise in Polen

Mit Sorge werden vor allem die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts sowie die Änderung des Gesetzes über das Verfassungsgericht vom 22. Dezember 2015 betrachtet. Das Gesetz sieht vor, dass alle Entscheidungen zukünftig mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden, bei wichtigen Entscheidungen müssen 13 von 15 Richtern anwesend sein. Die Fälle werden nun auch nicht mehr nach Relevanz, sondern in chronologischer Reihenfolge abgearbeitet. All dies gefährdet die Arbeitsfähigkeit des Gerichts.

Anfang März erklärte das polnische Verfassungsgericht diese Reform für nicht verfassungskonform. Die polnische Regierung weigert sich jedoch bis heute das Urteil anzuerkennen. Sie löste damit eine schwere Verfassungskrise in Polen aus, entmachtete faktisch das Gericht und zog europaweit Kritik auf sich. Auch im Europäischen Parlament haben wir im April mit breiter Mehrheit eine Resolution beschlossen, in der wir die polnische Regierung auffordern, die Verfassungskrise zu lösen.

Ernsthafte Gefahr für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte

Am 13. Januar dieses Jahres hat die EU-Kommission die erste Stufe des sogenannten EU-Rechtsstaatsmechanismus gegen Polen eingeleitet. In einem ersten Schritt hat sie die Situation im Land genau beleuchtet. Als Hüterin der europäischen Verträge ist es ihre Aufgabe, über die Wahrung der gemeinsamen europäischen Werte zu wachen und die Unabhängigkeit der Justiz in Europa zu schützen. Hierbei hat sie auch ein Gutachten der renommierten Venedig-Kommission des Europarats zur Lage in Polen miteinbezogen.

Diese hat klargestellt, dass ein nicht arbeitsfähiges Verfassungsgericht in Polen eine ernsthafte Gefahr für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte darstellt. Nach eingehender Prüfung hat die Kommission nun am heutigen Mittwoch eine Warnung an die polnische Regierung ausgesprochen und ihre Bedenken erstmals deutlich in Schriftform formuliert.

Die EU-Kommission verschärft die Gangart gegenüber Polen

Mit ihrer Entscheidung die Bewertung der gegenwärtigen Lage in Polen in einer Stellungnahme zu formalisieren, verschärft die Kommission die Gangart. „Es wurden konstruktive Gespräche geführt, die nun in konkrete Schritte zur Behebung der systembedingten Gefährdung der Rechtstaatlichkeit in Polen umgesetzt werden sollten. Dies ist die Basis für die Fortsetzung des Dialogs mit den polnischen Behörden“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans in Brüssel. Die polnischen Behörden sind nun am Zug, um auf die Stellungnahme zu reagieren. Sollte sich die Regierung Szydło nicht bewegen, kann die Kommission die zweite Phase des Rechtsstaatsmechanismus einleiten und Warschau eine klare Frist zur Beendigung der Verfassungskrise setzen. Die letzten Äußerungen aus Polen geben allerdings derzeit wenig Anlass für Hoffnung.

Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski hat ein EU-Verfahren gegen Polen abgelehnt, denn einer solchen Europäischen Union wäre Polen im damaligen Referendum zur EU-Mitgliedschaft nicht beigetreten. Der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, zweifelte kürzlich in einem Interview die Legitimität des Rechtstaatsmechanismus an und drohte mit einer Klage vor dem EuGH, sollte die EU-Kommission den Druck auf Polen erhöhen. Dass die polnische Regierung im Streit mit der EU-Kommission nicht einlenkt, ist bedauerlich, denn sie droht sich damit in Europa ins Abseits zu stellen.

Die polnische Zivilgesellschaft als Hoffnungsschimmer

Zuversichtlich stimmt dagegen die polnische Zivilgesellschaft: Seit die PiS an die Regierung gekommen ist, gehen in ganz Polen immer wieder Tausende Menschen auf die Straßen, um für Demokratie und Rechtstaatlichkeit und gegen die Maßnahmen der PiS zu demonstrieren. In einer Umfrage haben sich mehr als 85 Prozent der Befragten für einen Verbleib Polens in der EU ausgesprochen, falls es zu einem Referendum kommen sollte. Die Bürgerinnen und Bürger Polens machen somit deutlich, dass sie in einem demokratischen Polen leben möchten, das fest in Europa verankert ist.

Schlagwörter
Autor*in
Sylvia-Yvonne Kaufmann

ist SPD-Europaabgeordnete aus Berlin. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare