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Was die rechte Regierung für Israel bedeutet

Benjamin Netanjahu kehrt als israelischer Premierminister zurück. In der neuen Regierung dürfte er die moderateste Stimme sein. Dass das rechte Bündnis vier Jahre hält, kann auch er nicht wollen.
von Marie Schröter · 4. November 2022
Dürfte in der künftigen israelischen Regierung den Ton angeben: Itamar Ben-Gvir
Dürfte in der künftigen israelischen Regierung den Ton angeben: Itamar Ben-Gvir

Die am 1. November abgewählte israelische Regierung des Wandels hatte von den wenigsten eine komplette Amtsdauer von vier Jahren bescheinigt bekommen. Überraschend war eher, dass sie überhaupt so lang gehalten hat. Bestehend aus acht Parteien waren am Ende die ideologischen Differenzen doch zu groß. Trotzdem hatte sie vorerst der ewig andauernden Regierungszeit Benjamin Nethanjahus als konservativen Premierministers ein Ende gesetzt und auch zum ersten Mal eine arabische Partei in die Koalition geholt.

Die Koalition verabschiedete nach vier Jahren erfolgreich den dringend notwendigen Haushalt, der die israelischen Ministerien wieder funktionsfähig machte. Zudem regulierten sie die Ausläufer der Pandemie in einem neuen, entspannteren Ton, der auf Lockdowns und Schulschließungen verzichtete. Außenpolitisch konnten die Beziehungen zu den Nachbarstaaten, Europa und den Vereinigten Staaten erheblich verbessert werden. Israel positionierte sich wieder als verlässlicher Partner.

Der eigentliche Gewinner heißt Itamar Ben-Gvir

Diese Errungenschaften wurden an den Wahlurnen zur 25. Knesset eindeutig abgestraft. Die Ergebnisse zeigen, dass die Parteien des demokratischen Mitte-Links-Lagers sich erfolgreich Stimmen untereinander weggenommen haben, es jedoch nicht schafften, in neue Wählerpotentiale vorzudringen. Die Arbeiterpartei ist von sieben auf nur vier Sitze von insgesamt 120 Mandaten in der Knesset geschrumpft. Die zweite progressive Kraft Meretz verpasste denkbar knapp die Hürde der Sperrklausel von 3,25 Prozent. Ganz anders sieht es auf der Gegenseite aus. Das konservative Lager bestehend aus dem konservativ-liberalem Likud sowie ultraorthodoxen und ultranationalistischen Parteien kann sich mit 65 Sitzen einer überraschend bequemen Stabilität im Parlament erfreuen. Keine Umfrage hatte diesen eindeutigen Erdrutschsieg vorhergesehen. Trotzdem heißt der eigentliche Gewinner des Abends nicht Netanjahu, sondern Itamar Ben-Gvir.

Itamar Ben-Gvir, Parteiführer von Otzma Jehudit, zu Deutsch Jüdische Stärke, konnte als treibende Kraft in der Parteiliste der Religiösen Zionisten die Anzahl der Parlamentssitze von sechs auf 14 mehr als verdoppeln. Damit ist die offen rassistische und jüdische Vorherrschaft einfordernde nationalistisch-religiöse Partei als drittstärkste Kraft im Parlament der mächtige Königsmacher. Als Ben-Gvir am Wahlabend auf die Bühne vor seine Anhänger*innen trat, stimmten diese vor laufenden Kameras Chöre mit „Tod den Arabern an“. Sein politischer Einfluss auf die zukünftige Koalition dürfte verheerend sein.

Eine kompromisslose Anti-Araber-Agenda

Zu befürchten sind eine Reihe von Maßnahmen, die nicht zuletzt an den demokratischen Grundfesten des Landes rütteln. Der wegen rassistischer Aufhetzung und Unterstützung einer Terrororganisation verurteilte militante Siedler fordert für sich den Ministerposten für Innere Sicherheit. Damit hätte er die Hoheit über die Polizei, die Sicherheitskräfte an den Grenzen, im Westjordanland oder in den geteilten Arabisch-Jüdischen Städten Israels. Es ist schwer vorstellbar, dass er diese Kräfte nicht für seine kompromisslose Anti-Araber-Agenda einsetzt. Ben-Gvir hatte seine Wahl und eine Regierungsbeteiligung auch eng an Gesetzesvorschläge zur Beschneidung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft.

Eine unabhängige Justiz ist den Rechtsnationalisten schon lange ein Dorn im Auge. Beispielsweise soll das Komitee zur Auswahl von Richter*innen in Zukunft mehrheitlich durch Vertreter*innen der Regierungskoalition besetzt werden. Diese Koalition wird einem weiteren Siedlungsausbau in den Palästinensischen Gebieten wohl keine Schranken setzen und es ist mit einer Verschlechterung der israelisch-palästinensischen Beziehungen zu rechnen – nicht zu reden von einem politischen Friedensprozess, der bereits im Vorfeld der Wahl brach lag.

Insgesamt soll in dieser Koalition der jüdische Charakter des Staates gestärkt werden. Das geht nicht nur zu Lasten eines Fünftels der israelischen Bevölkerung, das nicht jüdisch ist, sondern wird auch auf dem Rücken der säkularen Juden ausgetragen. So platzt zum Beispiel der Traum von öffentlichem Nahverkehr am Shabbat in Tel Aviv endgültig. Zudem müssen vulnerable Gruppen wieder um ihre Rechte und ihren Platz im öffentlichen Raum bangen. Dazu zählen insbesondere Frauen, aber auch die Mitglieder der Regenbogen-Gemeinschaft und Araber.

Netanjahu muss das Schlimmste verhindern

Dass dieses toxische Bündnis eine volle Legislaturperiode von vier Jahren durchhält, kann auch der konservativ-liberale Netanjahu nicht wollen. Zu hoch sind nicht zuletzt die mittel- und langfristigen ökonomischen Kosten für das Land, wenn beispielsweise die ultraorthodoxen Parteien wie angekündigt die Lehrpläne religiöser Schulen von wesentlichen Grundkompetenzen in Mathematik und Englisch befreien. Viel wahrscheinlicher ist, dass Netanjahu schnell eine Regierung bildet, um dann die Zeit zu nutzen, das konservative Lager nach seinen Vorstellungen wieder zu vereinen. Sobald er sich einer Mehrheit ohne Extremist*innen sicher sein kann, wird er genügend Kreativität besitzen, um unter einem beliebigen Vorwand die Koalition platzen zu lassen und Neuwahlen auszurufen.

Der designierte Premierminister, gegen den drei Gerichtsverfahren wegen Korruption, Veruntreuung und Betrug laufen, wird in dieser Koalition die moderateste, gemäßigte Stimme sein. Es wird an ihm liegen, das Schlimmste zu verhindern. Damit wird er nicht zuletzt wieder seinem paternalistischen Selbstbild als Vater der Nation gerecht und es obliegt ihm, diesem Spuk alsbald ein Ende zu bereiten. Die linken Parteien sind gut daran beraten, diese Zeit zu nutzen, um das Selbstverschulden an diesem Debakel ehrlich aufzuarbeiten und die notwendigen Schritte einzuleiten. Die Internationale Gemeinschaft ist aufgefordert, mehr denn je die Universalität von Menschenrechten einzufordern. Dies gilt insbesondere für Freund*innen Israels, denn diese Zukunftsversion kann man nur seinen Feind*innen wünschen.

Der Text erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Marie Schröter

ist Projektassistentin der Friedrich-Ebert-Stiftung Israel.

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