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Was die Ampel-Regierung in der Europapolitik erreichen will

In der vergangenen Woche haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre vorgestellt. Mit Blick auf die EU wollen die drei Parteien die Rechte des Europaparlamentes stärken und eine Investitionsoffensive anstoßen.
von Jonas Jordan · 2. Dezember 2021
Die kommende Ampelregierung plant unter anderem, die Rechte des Europaparlamentes zu stärken.
Die kommende Ampelregierung plant unter anderem, die Rechte des Europaparlamentes zu stärken.

„Eine demokratisch gefestigtere, handlungsfähigere und strategisch souveränere Europäische Union ist die Grundlage für unseren Frieden, Wohlstand und Freiheit. In diesem Rahmen bewältigen wir die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung und Bewahrung der Demokratie“, heißt es im knapp 180 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Dieser enthält zahlreiche europapolitische Forderungen der Ampel-Parteien.

Zukunft der EU

„Die Konferenz zur Zukunft Europas nutzen wir für Reformen. Erforderliche Vertragsänderungen unterstützen wir“, beabsichtigen die drei künftigen Regierungsparteien. Die Konferenz solle in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert werde und die Grundrechtecharta zur Grundlage habe. Zudem soll das Europaparlament gestärkt werden und ein Initiativrecht erhalten.

Im Hinblick auf die nächste Europawahl im Jahr 2024 sprechen sich die drei Parteien für ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit teils transnationalen Listen und einem verbindlichen Spitzenkandidat*innensystem aus. „Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen“, heißt es dazu außerdem im Koalitionsvertrag.

Wirtschafts- und Finanzpolitik

Die Wirtschafts- und Währungsunion soll vertieft und gestärkt werden. Auf der Grundlage des Stabilitäts- und Wachstumspaktets (SWP) wollen SPD, Grüne und FDP Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen. Mit dem europäischen Wiederaufbauprogramm soll ein schneller und zukunftsgerichteter Aufschwung nach der Krise in ganz Europa gelingen. 

Eine europäische digitale Infrastruktur, ein gemeinsames Eisenbahnnetz, eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff sowie Forschung und Entwicklung auf dem Niveau der Weltspitze sind nach Ansicht der drei Parteien Voraussetzungen für die europäische Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im 21. Jahrhundert. Sie beabsichtigen daher: „Dafür werden wir die Initiative ergreifen und mit unseren europäischen Partnern eine Investitionsoffensive anstoßen, die sich auf transnationale Projekte mit einem Mehrwert für die EU als Ganzes fokussiert sowie dem Lückenschluss von Netzen eine besondere Bedeutung zumisst. Dabei soll sowohl öffentliches als auch privates Kapital eine Rolle spielen.“

Innerhalb der EU soll zudem Geldwäsche künftig effektiver bekämpft werden. Zu diesem Zweck soll eine unabhängige EU-Geldwäschebehörde mit Sitz in Frankfurt am Main eingerichtet werden.

Außen- und Sicherheitspolitik

„Unser Ziel ist eine souveräne EU als starker Akteur in einer von Unsicherheit und Systemkonkurrenz geprägten Welt. Wir setzen uns für eine echte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa ein“, heißt es im Koalitionsvertrag. Dazu zählt beispielsweise, dass der Hohe Vertreter als echter EU-Außenminister agieren solle. Die drei Koalitionspartner wollen außerdem für eine verstärkte Zusammenarbeit nationaler Armeen integrationsbereiter EU-Mitglieder eintreten, vor allem bei Ausbildung, Fähigkeiten, Einsätzen und Ausrüstung. Dafür sollen gemeinsame Kommandostrukturen und ein gemeinsames zivil-militärisches Hauptquartier geschaffen werden. Die rüstungstechnische Zusammenarbeit in Europa soll gestärkt werden.

Positiv äußern sich SPD, Grüne und FDP auch zum Beitrittsverfahren der sechs Westbalkanstaaten Serbien, Montenegro, Kosovo, Albanien, Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Als nächstes müssen die ersten EU-Beitrittskapitel mit Albanien und Nordmazedonien eröffnet, die Visaliberalisierung mit Kosovo beschlossen und die Verhandlungen mit Montenegro und Serbien fortgesetzt werden. Wir unterstützen den EU-geführten Normalisierungsdialog zwischen Kosovo und Serbien und die Bemühungen um dauerhaften Frieden in Bosnien und Herzegowina, aufbauend auf der Wahrung der territorialen Integrität und der Überwindung ethnischer Spaltung.“

Rechtsstaatlichkeit

Die drei Parteien fordern die EU-Kommission auf, „die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und zeitnah zu nutzen und durchzusetzen, auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), via Artikel 260 und 279 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“. Gleichzeitig will die künftige Bundesregierung im Rat die Anwendung der bestehenden Rechtsstaatsinstrumente (Rechtsstaatsdialog, Rechtsstaatscheck, Konditionalitätsmechanismus, Vertragsverletzungsverfahren, Empfehlungen und Feststellungen nach Artikel-7-Verfahren) konsequenter durchsetzen und weiterentwickeln. 

Zudem machen die drei Parteien deutlich: „Wir unterstützen die EU-Kommission bei der Weiterentwicklung des Rechtsstaatsberichts durch länderspezifische Empfehlungen und wollen u. a. den Prozess mit unabhängiger Expertise weiter stärken. Wir setzen uns dafür ein und unterstützen, dass die EU-Kommission künftig auch Verfahren gegen systemische Vertragsverletzungen vorantreibt, indem sie einzelne Verfahren bei Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit gegen einen Mitgliedstaat bündelt.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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