Was Deutsche und Franzosen voneinander lernen können
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Frankreich und die SPD haben etwas gemeinsam. Während es bei den Franzosen seit der Revolution heißt „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, sprechen die Sozialdemokraten von „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“. „Die Freiheit ist die wichtigste der drei Tugenden in Frankreich“, sagt Nils Minkmar. Der Spiegel-Autor ist am Donnerstag mit seinem Buch „Das geheime Frankreich“ zu Gast am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Sein Gesprächspartner ist SPD-Chef Martin Schulz.
„Im Zweifelsfall ist es besser, Dinge gar nicht anzusprechen.“
„Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass alle Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können“, nennt Schulz die SPD-Definition des Freiheitsbegriffs. In Frankreich äußert sich „Freiheit“ vor allem im alltäglichen Umgang miteinander. Das gilt auch bei der Sprache. „Dinge offen anzusprechen, wird in Frankreich als Bedrohung angesehen“, weiß Nils Minkmar, Sohn eines Deutschen und einer Französin. „Im Zweifelsfall ist es besser, Dinge gar nicht anzusprechen.“
In Frankreich gebe es die Angewohnheit des „beredten Schweigens“. Das könne durchaus nützlich sein, meint Martin Schulz. „Es gibt Tugenden in Frankreich, von denen wir etwas übernehmen könnten“, sagt der SPD-Chef. „Das würde unser Leben manchmal leichter machen.“ Umgekehrt gelte das allerdings genauso.
Macrons Europa-Plan: „zwingend notwendig“
Lernen könne Frankreich von Deutschland bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, ist Nils Minkmar überzeugt. Die französische Geschichte sei „sehr stark auf Heldenfiguren fokussiert“. Unbequemes wie der Algerien-Krieg werde gern unter den Teppich gekehrt. Dies helfe Rechten auf der einen und Islamisten auf der anderen Seite, die Republik in die Zange zu nehmen. „Deutschland ist nach NS-Zeit und DDR durch eine Art nationale Psychotherapie gegangen“, sagt Minkmar. Etwas ähnliches sei auch für Frankreich wichtig.
Große Hoffnungen setzt der Journalist hier auf den neuen französischen Präsidenten. „Emmanuel Macron wird sich von der deutschen Geschichtspolitik inspirieren lassen“, ist Minkmar überzeugt. Überhaupt Macron: „Er ist der erste Präsident seit langem, der mit einem Plan in den Elysee-Palast eingezogen ist“, sagt Martin Schulz. Macrons Plan für die Europäische Union sei „zwingend notwendig“.
„Ob Macron Erfolg hat, liegt auch an uns.“
Deshalb sei es „eine Tragödie“, dass Macron von der Bundesregierung sofort ein „Nein“ entgegengeschleudert worden sei. „Die Bremser sitzen in Berlin.“ Er dagegen stehe auf der Seite Macrons, stellt Schulz in Frankfurt klar – auch wenn nicht jeder der Vorschläge des französischen Präsidenten seinen „Herzenswünschen“ entspreche und er innenpolitisch „Fehler, die in Deutschland gemacht wurden“, nicht unbedingt wiederholen müsse.
„Wer jetzt die EU nicht reformiert, macht einen großen Fehler“, sagt Schulz. Um die Globalisierung zu gestalten, brauche es eine starke Europäische Union, doch „ohne eine funktionierende deutsch-französische Zusammenarbeit sei „die EU zu Stagnation verdammt“. „Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland ist lebensnotwendig“, stimmt Nils Minkmar zu. Dazu gehöre auch, die Sprache des anderen zu lernen. „Ob Macron Erfolg hat und Europa vorankommt, liegt auch an uns.“
Nils Minkmar: Das geheime Frankreich. Geschichten aus einem freien Land, S. Fischer 2017, ISBN 978-3-10-397295-5, 22 Euro
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.