Was das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Theresa May für den Brexit bedeutet
Theresa May hat am vergangenen Montag die Abstimmung über den Austrittsvertrag der EU, welche eigentlich am 11. Dezember stattfinden sollte, aus Angst vor einer sich abzeichnenden Niederlage verschoben. Seitdem ist eine tiefe Regierungskrise ausgebrochen. Schon Dienstagabend zeichnete sich ab, dass Mitglieder der Tory-Partei ein Misstrauensvotum gegen May herbeiführen wollen. Mittwoch Abend – absurderweise wenige Stunden vor der Tory-Weihnachtsfeier – hat dies nun tatsächlich stattgefunden. May gewann mit 200 zu 117 Stimmen. Das Ergebnis zeigt, dass ihre Mehrheit fragil ist und rund ein Drittel der Tory-Abgeordneten kritisch zu ihr steht.
Im Parlament ist keine Mehrheit für den Brexit in Sicht
In den nächsten kommenden zwölf Monaten kann es nun kein zweites Tory-Misstrauensvotum mehr gegen sie geben. Dennoch bleibt die Frage, wie es mit dem Brexit-Prozess weitergeht. May wird akzeptieren müssen, dass das Parlament über ihren Brexit-Deal abstimmen wird – früher oder später. Und höchstwahrscheinlich wird dieser Brexit-Deal nicht die Zustimmung des Parlaments finden, selbst dann nicht, wenn May am Freitag aus Brüssel mit Änderungen, Zusicherungen oder weiteren Erklärungen zurückkommt.
Das Parlament und beide großen Volksparteien sind bezüglich des Brexits tief gespalten. Und nicht nur das, es gibt im Parlament so viele verschiedene Vorstellungen darüber, was der richtige Brexit ist und ob er überhaupt durchgeführt werden sollte, dass im Moment nicht ersichtlich ist, wie die Brexit-Blockade gelöst werden kann. Für welchen Brexit würde es tatsächlich eine Mehrheit im britischen Parlament geben? Gibt es diese Mehrheit überhaupt für einen Brexit, der – wie nicht länger zu leugnen ist – mit erheblichen Nachteilen für das Land einhergehen würde?
Theresa May läuft die Zeit davon
Wenn das Misstrauensvotum eins gezeigt hat, dann, dass May sich bisher zu sehr hat leiten lassen von den harten-Brexit-Befürwortern ihrer Partei. Davon muss sie sich nun lösen und eventuell eine sanftere Version des Brexit verfolgen. Vielleicht könnte sie damit eine Mehrheit hinter sich vereinen.
Viel Zeit bleibt ihr aber nicht mehr. Der Austritt erfolgt offiziell am 29. März kommenden Jahres, bis dahin sind es nur noch etwas über hundert Tage. Die EU hat deutlich gemacht, dass das Brexit-Abkommen nicht mehr verhandelbar ist, zumindest solange die von May selbst gezogenen roten Linien weiter gelten: Ende der Arbeitnehmerfreizügigkeit, Verlassen des Binnenmarktes und der Zollunion, das Anstreben eigener Handelsverträge, Ende der Beitragszahlungen und die Rückgewinnung der nationalen Souveränität. Lediglich eine zusätzliche Erklärung über eine künftige ambitionierte Partnerschaft scheint in Aussicht zu stehen.
Wie verhält sich die Labour-Partei?
Die Labour Partei steht derzeit unter enormen Druck. Parteimitglieder, Aktivisten und einige Parlamentarier möchten dringend Neuwahlen herbeiführen. Der beste Weg dafür wäre, ein Misstrauensvotum einzureichen. Umstritten ist jedoch in der Parteiführung der richtige Zeitpunkt für einen solchen Schritt. Tut man es zu früh, würde man lediglich erreichen, dass sich die Tory-Partei hinter Theresa May vereint. Wartet man dagegen zu lange, gäbe es kaum noch eine Chance für Labour, rechtzeitig vor dem offiziellen Austrittsdatum am 29. März, einen neuen „besseren Brexit-Deal“ auszuhandeln. Dafür müsste Labour die Wahl auch erst einmal gewinnen.
Auf dem letzten Parteikongress beschloss Labour folgende Strategie: Mays Deal wird im Parlament abgelehnt, dann werde man zunächst versuchen, Neuwahlen auszurufen. Sollte dies scheitern, dann käme eine Kampagne für ein zweites Referendum in Frage. Doch Parteiführer Jeremy Corbyn steht einem zweiten Referendum weiterhin kritisch gegenüber. Er ist nach wie vor EU-skeptisch und kann sich bisher nicht dazu durchringen, den lauter werdenden Rufen, die Partei solle sich endlich für „Remain“ einsetzen, nachzugeben.
Vier Möglichkeiten ohne Neuwahl
Die Chancen stehen ohnehin schlecht für Labour, ein Misstrauensvotum zu gewinnen. Die DUP, der Koalitionspartner von May hat schon verkündet, dass die Partei May unterstützen würde in diesem Fall, obwohl sie ankündigten, gegen den Deal von ihr stimmen zu wollen. Und die Tories wollen Neuwahlen sowieso auf jeden Fall vermeiden.
Wenn es also keine Neuwahl geben wird, bleiben folgende Möglichkeiten:
- May bekommt in letzter Minute Zustimmung für ihren Brexit-Deal, wenn sie ihn ein zweites Mal dem Parlament vorlegt
- Die Frist zum Austritt wird verlängert, um mehr Zeit zu gewinnen für substantielle Nachbesserungen an dem Austrittsabkommen. Ein „weicherer“ Brexit wird verhandelt und mit Mehrheit verabschiedet.
- Es gelingt innerhalb des Parlaments nicht, die Brexit-Blockade zu lösen, daher wird ein zweites Referendum durchgeführt und die Frage an das Volk zurückgegeben, der sogenannte Peoples Vote.
- Das No-Deal-Szenario, wofür es aber keine Mehrheit im Parlament gibt.
Bisher zeichnet sich die Brexit-Debatte in Großbritannien vor allem dadurch aus, dass das Referendumsergebnis von 2016 politisch als absolut bindend dargestellt wird. Die Briten haben ein starkes Demokratieverständnis, so gesehen hat die Regierung seit dem Referendum den klaren Auftrag, die Mitgliedschaft in der EU zu beenden. Vor einem Jahr, im Februar 2017 stimmten schließlich immerhin 498 von 650 Parlamentariern dafür, Artikel 50 zu aktivieren und damit den Brexit einzuleiten. Dieselben Parlamentarier werden sich demnächst wieder entscheiden müssen, wie ernst sie es tatsächlich mit dem Brexit meinen.
Große Risiken eines zweiten Referendums
Ein zweites Referendum wäre wiederum mit enormen Risiken verknüpft: Die Populisten könnten wieder erstarken und mit dem Slogan „Tell them again!“ Wähler mobilisieren und damit erfolgreich sein. Es ist keinesfalls garantiert, dass das Referendum anders ausgehen würde als 2016.
Die harten Verfechter von Remain sind jedoch dafür, jede – noch so kleine – Chance zu nutzen, den Brexit-Prozess rückgängig zu machen. Und der Europäische Gerichtshof hat erst am Montag verkündet, dass Großbritannien Artikel 50 zurücknehmen könnte und dafür NICHT die Zustimmung der EU-27 benötigt. Ein Exit vom Brexit ist also wenigstens theoretisch möglich.